„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Nach der ZEIT hat nun auch NDR Kultur die Kolumnen von Harald Martenstein für sich entdeckt und verbreitet sie mit Wiederholung zu besten Sendezeiten. Der Journalist beim Berliner Tagesspiegel kommentiert alles Mögliche, mit besonderer Leidenschaft aber den Feminismus und seine „brachialen Spielarten“. Zu den „Exzessen dieser Denkart“ zählt er neben dem Phänomen der political correctness auch die Gleichstellungspolitik und die tatsächlich oder vermeintlich zunehmende Zahl von Gleichstellungsbeauftragten. Seine jüngsten Bemerkungen über „Zornige alte Männer“ und die Zimperlichkeit von Feministinnen, die nicht einsehen wollen, dass Feminismus heute mainstream und als solcher von kritischen Journalisten selbstverständlich zu kritisieren sei, haben mir am vergangenen Sonnabendvormittag das Frühstück verdorben.

Ich kann Polemik, die als intelligente Plauderei (und obendrein in einem paternalistisch Nuhr´schen Tonfall) daherkommt, schlecht vertragen. Das Genre der meinungsstarken Glosse, die in Printmedien und im Hörfunk verbreitet wird, hat vermutlich in jüngerer Zeit mehr zur schleichenden Diskreditierung des Feminismus beigetragen als die aggressiven, offen homophoben und chauvinistischen Verunglimpfungen, wie sie im Web 2.0 kursieren. Diese stammen in der Regel von Leuten, die das rhetorische Florett nicht beherrschen und stoßen eher bei ihresgleichen auf ein Echo. Der Gestus ironisch-souveräner Besserwisserei ist dagegen in den Feuilletons zu Hause, bei Bildungsbürger_innen, die mit dem Selbstverständnis auf- und abgeklärter Beobachter des gesellschaftlichen Lebens demonstrativ unverkniffen Stellung beziehen. Ich schließe noch nicht einmal aus, dass man mit einigen von ihnen ins Gespräch kommen könnte; denn grundsätzlich wird auch Kritik „von außen“ gebraucht für eine produktive Auseinandersetzung mit der Frage der gesellschaftlichen Rolle des Feminismus und der Tragfähigkeit von Entwicklungen, die in seinem Zeichen stattgefunden haben. Gegen diese Option spricht jedoch, dass beide Strömungen, die des Floretts und die der Keule, sich in ihren je spezifisch zusammengesetzten Motiv- und Affektlagen, verzerrten Wahrnehmungen und bedenkenswerten Einwänden darin ähnlich sind, dass sie mit rhetorischen pars pro toto-Tricksereien das, was sie als Auswüchse sehen, für das Ganze setzen. Karikaturhafte Vereinseitigung und versämtlichende Verunglimpfung gehören zum Arsenal politischer Propaganda. Für beide Strategien und Äußerungsweisen gilt, dass differenzierende, abwägende Argumente oder die Konfrontation mit Fakten und Forschungsbefunden ihnen gegenüber wenig tragen.

Der Rahmentext des NDR zur Martenstein-Kolumne vom 2. und 4. 10. leitet so ein: „Darf man sich als alter weißer Mann zum Feminismus äußern? Kritikerinnen finden: Nein! Harald Martenstein findet: Ja! Und tut es auch“. Damit ist schon vorab die Bühne für den Showdown bereitet und zweierlei suggeriert: Erstens, dass der mutige Martenstein auch gegen Widerstand bereit ist, Verbote und Tabus zu brechen (das muss doch mal gesagt werden; man wird doch wohl noch sagen dürfen), zweitens, dass ominöse „Kritikerinnen“, es handelt sich um Christina Schildmann und Anna-Katharina Meßmer und ihren in der ZEIT veröffentlichten Beitrag über den „Zorn abgehängter Männer“, ihnen das nicht zugestehen wollen. Das ist tendenziös und Unsinn. Der ZEIT-Artikel versucht, unterschiedliche Formen des Antifeminismus zu typologisieren und bezieht sich als Deutungsangebot auf Überlegungen des US-amerikanischen Soziologen Kimmel. Ich selbst halte den eher instrumentellen als analytischen Einsatz des Kürzels vom „WHM (weißen heterosexuellen Mann)“ für fragwürdig und für meinen Geschmack bleiben die Autorinnen stellenweise selbst dem polemischen Kampfvokabular verhaftet und bedienen damit Mechanismen, die ich kritisch sehe, die aber zweifelsohne konstitutiver Bestandteil der massenmedialen Form der Erzeugung von Aufmerksamkeit sind. Was Meßmers und Schildmanns Text aber nicht macht, ist, es Männern, ob alt, weiß oder abgehängt, zu verbieten, sich zum Feminismus zu äußern. Das wäre ja auch absurd.

Der Feminismus, die Geschlechterforschung und damit verbundene Politiken segeln zurzeit bei Gegenwind. Die augenscheinliche Zunahme, zumindest aber deutlichere Vernehmbarkeit von Kritiker_innen und Gegnern ist in Rechnung zu stellen, wenn es um die Frage nach den aktuellen Bedingungen und Optionen feministischer Kritik geht. Sie isoliert, gleichsam wie eine Anordnung im Boxring, zu betrachten führt jedoch in die Irre. Die Konstellation feministischer Kritik ist nicht nur durch viele verschiedene Faktoren, sondern auch durch verschiedene Sichtweisen bestimmt. Die Diagnose, der Feminismus und die Geschlechter- bzw. Genderforschung habe sich überlebt, muss nicht von den Ignoranten kommen, die sich ohnehin das herauspicken, was ihre Argumente stützt und sowohl weiterführende Ansätze als auch die innerfeministische Kritik systematisch ausblenden. Sie kann durchaus auch aus einem berechtigten Ungenügen herrühren. Aus dieser Perspektive wäre ein Feminismus, der zu vielen der drängenden Probleme der Gegenwart nichts oder wenig beizutragen hat, selbst daran Schuld, wenn er an Anziehungskraft verliert. Ich sage nicht, dass das so ist, wohl aber, dass die Diskrepanzen zwischen Notwendigem, Geleistetem und Leistbarem aus unterschiedlichen Gründen größer werden. Die gesellschaftlichen Abschottungen nehmen zu. Für den im weiten Sinne geschlechterpolitischen Kontext wäre das Verhältnis zwischen institutionellen Differenzierungsprozessen, den sich daraus ergebenden Selbstgenügsamkeiten und unzureichenden Brückenschlägen zwischen Theorieentwicklung und verschiedenen Praxisfeldern genauer zu untersuchen. Das Unverständnis gegenüber nicht-pragmatischen, an die Wurzeln der Probleme gehenden Kritikansätzen ist größer geworden. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass einige der neueren Ansätze feministischer Kritik, ich denke etwa an Strömungen des Posthumanismus oder die Überlegungen der Physikerin Karen Barad, sich in Sprachformen äußern, die wahre Welten für sich darstellen. Ohne Übersetzung wird deren gesellschaftliche Resonanz gering bleiben. Aber selbst die managerialen Varianten von Gender und Diversity mit ihrem Nützlichkeitsausweis und ihrer hohen „Anschlußfähigkeit“ an das Alltagsbewußtsein werden eher hingenommen als anerkannt, ganz anders, als es die Schaufensterreden von ihrem innovativen Potential nahelegen. Gleichzeitig wachsen die Nachfrage und das Bedürfnis nach anderen Tönen, einer neuen Musik, die den ebenso verwilderten wie sedierten gesellschaftlichen Verhältnissen vorzuspielen wäre. Es ist die Gleichzeitigkeit von – auch aus feministischer Sicht analyse- und kommentierungsbedürftigen – gesellschaftlichen Mehrfachkrisen, den verschlechterten Rahmenbedingungen für kritische Wissensproduktion insgesamt, inklusive feministischer Kritik, der Zunahme antifeministischer Stimmungsmache und der Verbreitung von Haltungen der Indifferenz und Resignation, die mir Sorgen macht.

Sich die in die Defensive geratene Position der begründenden, argumentierenden Kritik und der machtempfindlichen Selbstreflexion mal wieder vor Augen führen zu müssen, ist für eine ehemalige Journalistin, die sich vor vierzig Jahren entschieden hat, es genauer und anders wissen zu wollen und die aus diesem Grund in die Wissenschaft wechselte, nicht erfreulich. Und dass ich dies nun in einem Blog anspreche, der seiner Form nach nicht gerade auf Vertiefung geeicht ist, ist auch nicht frei von Komik. Mit diesen und anderen Widersprüchen will ich mich in den kommenden Einträgen befassen.

Axeli Knapp