Nach der ZEIT hat nun auch NDR Kultur die Kolumnen von Harald Martenstein für sich entdeckt und verbreitet sie mit Wiederholung zu besten Sendezeiten. Der Journalist beim Berliner Tagesspiegel kommentiert alles Mögliche, mit besonderer Leidenschaft aber den Feminismus und seine „brachialen Spielarten“. Zu den „Exzessen dieser Denkart“ zählt er neben dem Phänomen der political correctness auch die Gleichstellungspolitik und die tatsächlich oder vermeintlich zunehmende Zahl von Gleichstellungsbeauftragten. Seine jüngsten Bemerkungen über „Zornige alte Männer“ und die Zimperlichkeit von Feministinnen, die nicht einsehen wollen, dass Feminismus heute mainstream und als solcher von kritischen Journalisten selbstverständlich zu kritisieren sei, haben mir am vergangenen Sonnabendvormittag das Frühstück verdorben.
Ich kann Polemik, die als intelligente Plauderei (und obendrein in einem paternalistisch Nuhr´schen Tonfall) daherkommt, schlecht vertragen. Das Genre der meinungsstarken Glosse, die in Printmedien und im Hörfunk verbreitet wird, hat vermutlich in jüngerer Zeit mehr zur schleichenden Diskreditierung des Feminismus beigetragen als die aggressiven, offen homophoben und chauvinistischen Verunglimpfungen, wie sie im Web 2.0 kursieren. Diese stammen in der Regel von Leuten, die das rhetorische Florett nicht beherrschen und stoßen eher bei ihresgleichen auf ein Echo. Der Gestus ironisch-souveräner Besserwisserei ist dagegen in den Feuilletons zu Hause, bei Bildungsbürger_innen, die mit dem Selbstverständnis auf- und abgeklärter Beobachter des gesellschaftlichen Lebens demonstrativ unverkniffen Stellung beziehen. Ich schließe noch nicht einmal aus, dass man mit einigen von ihnen ins Gespräch kommen könnte; denn grundsätzlich wird auch Kritik „von außen“ gebraucht für eine produktive Auseinandersetzung mit der Frage der gesellschaftlichen Rolle des Feminismus und der Tragfähigkeit von Entwicklungen, die in seinem Zeichen stattgefunden haben. Gegen diese Option spricht jedoch, dass beide Strömungen, die des Floretts und die der Keule, sich in ihren je spezifisch zusammengesetzten Motiv- und Affektlagen, verzerrten Wahrnehmungen und bedenkenswerten Einwänden darin ähnlich sind, dass sie mit rhetorischen pars pro toto-Tricksereien das, was sie als Auswüchse sehen, für das Ganze setzen. Karikaturhafte Vereinseitigung und versämtlichende Verunglimpfung gehören zum Arsenal politischer Propaganda. Für beide Strategien und Äußerungsweisen gilt, dass differenzierende, abwägende Argumente oder die Konfrontation mit Fakten und Forschungsbefunden ihnen gegenüber wenig tragen.
Der Rahmentext des NDR zur Martenstein-Kolumne vom 2. und 4. 10. leitet so ein: „Darf man sich als alter weißer Mann zum Feminismus äußern? Kritikerinnen finden: Nein! Harald Martenstein findet: Ja! Und tut es auch“. Damit ist schon vorab die Bühne für den Showdown bereitet und zweierlei suggeriert: Erstens, dass der mutige Martenstein auch gegen Widerstand bereit ist, Verbote und Tabus zu brechen (das muss doch mal gesagt werden; man wird doch wohl noch sagen dürfen), zweitens, dass ominöse „Kritikerinnen“, es handelt sich um Christina Schildmann und Anna-Katharina Meßmer und ihren in der ZEIT veröffentlichten Beitrag über den „Zorn abgehängter Männer“, ihnen das nicht zugestehen wollen. Das ist tendenziös und Unsinn. Der ZEIT-Artikel versucht, unterschiedliche Formen des Antifeminismus zu typologisieren und bezieht sich als Deutungsangebot auf Überlegungen des US-amerikanischen Soziologen Kimmel. Ich selbst halte den eher instrumentellen als analytischen Einsatz des Kürzels vom „WHM (weißen heterosexuellen Mann)“ für fragwürdig und für meinen Geschmack bleiben die Autorinnen stellenweise selbst dem polemischen Kampfvokabular verhaftet und bedienen damit Mechanismen, die ich kritisch sehe, die aber zweifelsohne konstitutiver Bestandteil der massenmedialen Form der Erzeugung von Aufmerksamkeit sind. Was Meßmers und Schildmanns Text aber nicht macht, ist, es Männern, ob alt, weiß oder abgehängt, zu verbieten, sich zum Feminismus zu äußern. Das wäre ja auch absurd.
Der Feminismus, die Geschlechterforschung und damit verbundene Politiken segeln zurzeit bei Gegenwind. Die augenscheinliche Zunahme, zumindest aber deutlichere Vernehmbarkeit von Kritiker_innen und Gegnern ist in Rechnung zu stellen, wenn es um die Frage nach den aktuellen Bedingungen und Optionen feministischer Kritik geht. Sie isoliert, gleichsam wie eine Anordnung im Boxring, zu betrachten führt jedoch in die Irre. Die Konstellation feministischer Kritik ist nicht nur durch viele verschiedene Faktoren, sondern auch durch verschiedene Sichtweisen bestimmt. Die Diagnose, der Feminismus und die Geschlechter- bzw. Genderforschung habe sich überlebt, muss nicht von den Ignoranten kommen, die sich ohnehin das herauspicken, was ihre Argumente stützt und sowohl weiterführende Ansätze als auch die innerfeministische Kritik systematisch ausblenden. Sie kann durchaus auch aus einem berechtigten Ungenügen herrühren. Aus dieser Perspektive wäre ein Feminismus, der zu vielen der drängenden Probleme der Gegenwart nichts oder wenig beizutragen hat, selbst daran Schuld, wenn er an Anziehungskraft verliert. Ich sage nicht, dass das so ist, wohl aber, dass die Diskrepanzen zwischen Notwendigem, Geleistetem und Leistbarem aus unterschiedlichen Gründen größer werden. Die gesellschaftlichen Abschottungen nehmen zu. Für den im weiten Sinne geschlechterpolitischen Kontext wäre das Verhältnis zwischen institutionellen Differenzierungsprozessen, den sich daraus ergebenden Selbstgenügsamkeiten und unzureichenden Brückenschlägen zwischen Theorieentwicklung und verschiedenen Praxisfeldern genauer zu untersuchen. Das Unverständnis gegenüber nicht-pragmatischen, an die Wurzeln der Probleme gehenden Kritikansätzen ist größer geworden. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass einige der neueren Ansätze feministischer Kritik, ich denke etwa an Strömungen des Posthumanismus oder die Überlegungen der Physikerin Karen Barad, sich in Sprachformen äußern, die wahre Welten für sich darstellen. Ohne Übersetzung wird deren gesellschaftliche Resonanz gering bleiben. Aber selbst die managerialen Varianten von Gender und Diversity mit ihrem Nützlichkeitsausweis und ihrer hohen „Anschlußfähigkeit“ an das Alltagsbewußtsein werden eher hingenommen als anerkannt, ganz anders, als es die Schaufensterreden von ihrem innovativen Potential nahelegen. Gleichzeitig wachsen die Nachfrage und das Bedürfnis nach anderen Tönen, einer neuen Musik, die den ebenso verwilderten wie sedierten gesellschaftlichen Verhältnissen vorzuspielen wäre. Es ist die Gleichzeitigkeit von – auch aus feministischer Sicht analyse- und kommentierungsbedürftigen – gesellschaftlichen Mehrfachkrisen, den verschlechterten Rahmenbedingungen für kritische Wissensproduktion insgesamt, inklusive feministischer Kritik, der Zunahme antifeministischer Stimmungsmache und der Verbreitung von Haltungen der Indifferenz und Resignation, die mir Sorgen macht.
Sich die in die Defensive geratene Position der begründenden, argumentierenden Kritik und der machtempfindlichen Selbstreflexion mal wieder vor Augen führen zu müssen, ist für eine ehemalige Journalistin, die sich vor vierzig Jahren entschieden hat, es genauer und anders wissen zu wollen und die aus diesem Grund in die Wissenschaft wechselte, nicht erfreulich. Und dass ich dies nun in einem Blog anspreche, der seiner Form nach nicht gerade auf Vertiefung geeicht ist, ist auch nicht frei von Komik. Mit diesen und anderen Widersprüchen will ich mich in den kommenden Einträgen befassen.
Axeli Knapp
interessanter beitrag, der aber über die analyse dessen, was im feuilleton gefragt ist (bildungsbürgertümliche polemik) nicht hinaus kommt. die kritik, die hier geübt wird, ist seit jahren bekannt – zumindest in netzaktivistischen kontexten. ich stimme dennoch zu, dass der beitrag von meßmer/schildmann in seiner zynischen clusterung und analyse des „whm“, der sich bedroht sieht, kaum zustimmung erzeugen kann, dennoch genau das futter liefert, dass martenstein, matussek, fleischauer, broder & co. sich wünschen. wenn ich mir anschaue, worauf diese typen in ihren kolumnen und glossen reagieren, dann sind es doch genau diese sehr auf das individuum fokussierten kritiken, die sich eben auch in einem polemischen und polarisierenden rahmen bewegen. ein ping-pong-spiel, wobei die feministische seite immer den kürzeren ziehen muss und da hätte ich mir eine größere analyse gewünscht, die auch mit einbezieht, warum feministische kritik (ob in der tiefe und/oder in der breite) mal „angesagter“ in den medien war.
meine gedanken hierzu: als feminismus auch im feuilleton fuß fassen konnte mit einwürfen, war das zu einer zeit, in der feminismus dank weltfrauenkonferenzen, gender mainstreaming, des mit gender trouble (butler) angekündigten paradigmenwechsel in der geschlechterforschung der BRD, ein paar gesetzesänderungen zugunsten von bestimmten frauen angesagt war, um mal ein paar beispiele zu nennen. es war allerdings auch eine zeit, in der sich die geschlechterforschung in deutschland eine sehr einseitig verstandene butler hernehmen musste, um die eigene rückständigkeit zu überdecken. und es war zu einer zeit, in der gesellschaftliche kämpfe befriedet werden mussten. zerfall der sozialistischen systeme, offener rassismus (in bezug auf: welche rassismen nimmt die weißdeutsche mehrheitsgesellschaft als „offen“ wahr?), verschärfung/abschaffung des asylrechts, wirtschaftskrise.
im grunde wurde mit feministischen publikationen in den leitmedien diskursiv das gefühl vermittelt, dass es doch noch sowas wie gerechtigkeit oder intervention in die herrschenden verhältnisse geben könne. angelika wetterer hat zwar in einem etwas anderen zusammenhang den begriff „rhetorische modernisierung“ eingeführt, aber auch hier trifft er ganz gut. das vorgaukeln einer liberalisierung und öffnung hin zu feministischen ideen in zeiten tiefsten konservatismus. desweiteren war damals die medienlandschaft finanziell noch ganz gut aufgestellt, so dass gut bezahlte gastbeiträge geschrieben werden konnten, die sich allerdings auch viel um debatten rund um gender trouble drehten. wenn es um schlagabtausche von feminist_innen geht, die mit den tatsächlichen strukturen und ressourcen/um/verteilungen von gesellschaft wenig zu tun haben, dann wird das doch ganz gerne angenommen und dargestellt. weil sich dann keine_r der beteiligten wie lesenden wie publizierenden in frage gestellt sehen muss.
der beitrag vergisst auch, worum sich die damaligen wie heute publizierten beiträge drehen: um das befinden von weißen sehr privilegierten frauen, die an ihrem wunsch scheitern, von den (strukturellen) privilegien der weißen ökonomisch gut gestellten, gesellschaftlich angesehen männer etwas abhaben zu können oder um die wissenschaftliche deutungshoheit über die kategorie geschlecht. gerade in den 80ern und anfang der 90er jahre gab es innerhalb der feministischen bewegungen hier in deutschland sehr viele kämpfe um die anerkennung der verschiedenen lebensrealitäten von frauen und lesben. es ging um antisemitismus, rassismus und klassismus innerhalb der frauenlesbenbewegungen. das wurde nie massenmedial abgebildet, geschweige denn waren die einwürfe und gesellschaftskritiken Schwarzer und FrauenLesben mit Migrationsgeschichte, FrauenLesben mit jüdischer Geschichte, die in deutschland lebten und arbeiteten, die eine sehr konkrete (intersektionale) kritik an den deutschen verhältnissen hatten, lange bevor die deutsche akademie das als „turn“ und „paradigma“ abfeierte, irgendwie in diesen bereichen relevant.
und das hängt meines erachtens nach eben alles zusammen: wer findet mit welchen themen in den großen leitmedien gehör? und von wem wird die erlaubnis erteilt, was genau zu feminismus sagen zu können? damals wie heute dreht es sich doch inhaltlich sehr viel um die ideen einer „besseren gesellschaft“, themen und lebensrealitäten von eben sehr privilegierten frauen. deshalb kann der schlagabtausch von meßmer/schildmann und martenstein eben auf einer rein ideologischen (und sehr weißen, androzentrischen und vom klassenverhältnis befreiten) ebene verbleiben.
ich denke, heute wie damals bilden die repräsentationen von feminismus in den leitmedien ein sehr verzerrtes bild von dem ab, was feminismus ist und sein kann. entweder wird feminismus als ein hochakademisiertes feld dargestellt oder als ein feld, dass dem „faschismus“ nahestehe und zensur einführen und meinungsfreiheit abschaffen will oder als ein feld, auf dem sich vor allen dingen junge frauen gegen die farbe pink engagieren (pinkstinks) oder oberkörperfrei gegen barbie demonstrieren (femen). nichts davon kann auch nur annähernd die politischen realitäten von feministischen aktivist_innen und feministischer bewegungsgeschichte wiedergeben oder hat tatsächlichen einfluss darauf, welche feministischen errungenschaften, interventions- und kritikformen heute noch möglich sind. es sind scheindebatten, die mit den tatsächlichen kämpfen im großen und kleinen wenig zu tun haben.