„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

… Teil zwei der Reihe Berlin, Berlin und anderswo

Inzwischen habe ich mich mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt getroffen und mit der Leiterin der „Internationalen Frauenwerkstatt Saheli“. Das Treffen mit dem Team des Frauenzentrums Schleswig e.V. steht noch aus. Etwas trotzig habe ich die Datei mit den Aufzeichnungen der bisherigen Gespräche „Notizen aus der Provinz“ genannt – ein Akt der Parteinahme, denn ich bin von meinen Stippvisiten beeindruckt an den heimischen Schreibtisch zurückgekehrt.

Die Bereitwilligkeit, sich mit mir, einer ihnen Unbekannten ohne institutionelle Anbindung, zu treffen und von der eigenen Arbeit zu erzählen, hat mich überrascht. Nirgendwo hatte ich mich schriftlich angemeldet. Zum Frauenzentrum war ich einfach mit dem Rad gefahren, um dort – vom Nieselregen leicht derangiert – mein Anliegen vorzubringen. Vorgestellt hatte ich mich als Neubürgerin, die die frauenpolitische Szene in Schleswig kennenlernen möchte. Und als Geschlechterforscherin, zur Zeit auch noch Bloggerin bei den feministischen studien, die sich Gedanken über das Verhältnis von frauen-, gleichstellungs- und antidiskriminierungspolitischer Praxis und Geschlechterforschung bzw. feministischer Theorie macht. Auch bei der „Internationalen Frauenwerkstatt Saheli“, wo ich bei meinem Spontanbesuch ins „Frauenfrühstück“ reingeplatzt war, wurde meine Bitte um ein Gespräch sofort freundlich aufgenommen. Im Gleichstellungsbüro der Stadt, das sich im entfernter gelegenen Rathaus in der Altstadt befindet, hatte ich telefonisch um einen Termin gebeten und war auch hier auf neugieriges Interesse und professionelles Entgegenkommen gestoßen.

Die Settings der Gespräche unterschieden sich. Die Gleichstellungsbeauftragte empfing mich gemeinsam mit ihrer Sekretärin und einer Praktikantin in ihrem großzügigen Büro im Rathaus. Mit der Vertreterin der „Internationalen Frauenwerkstatt Saheli“ sprach ich allein, weil sie die Arbeit ihrer Einrichtung auch ziemlich allein aufrecht erhält. Der Termin beim Frauenzentrum kann erst Anfang Februar stattfinden, weil möglichst das ganze, dann weitgehend neu zusammengesetzte, Team bei dem Gespräch anwesend sein soll.

„Saheli“, so lernte ich, bedeutet „Freundin“. Gegründet vor Jahren von Schleswigerinnen, die einen internationalen Ort für Frauen schaffen wollten, an dem diese gemeinsam nähen oder sonst etwas Handwerkliches herstellen (deshalb „Werkstatt“) und sich bei dieser Gelegenheit kennenlernen und austauschen könnten. Auch eine Anlaufstelle für Migrantinnen im Ortsteil Friedrichsberg sollte es sein, wo diese praktische Unterstützung im Umgang mit Behörden und Ähnlichem bekommen könnten.

Meine Gesprächspartnerin, Frau G., ist vor sieben Jahren zu „Saheli“ gekommen. Als Ein-Euro-Kraft vom Arbeitsamt dorthin vermittelt, um den beiden Gründerinnen und ihrem Verein zur Seite zu stehen. Einen Bezug zur Frauenbewegung oder Frauenpolitik hatte die gelernte Kinderpflegerin und erfahrene Büroangestellte nicht. Das Praxisfeld ihrer Einrichtung hat sie sich im Laufe der Zeit über mitmachendes Lernen erschlossen. Feministische Theorie spielt in einer anderen Welt. Geschlechterforschung auch. Schon das Aussprechen der Worte wirkt hier merkwürdig deplatziert. Die frauenbewegte Vorgeschichte von „Saheli“ ist in den Aktenordnern bewahrt, aber nicht Teil eines bewegungspolitischen Selbstverständnisses der gegenwärtigen Akteurinnen. Dennoch gibt es „Überlebsel“ (Freud) aus jener Zeit, so etwa die Selbstbezeichnung als „Werkstattfrauen“. Frau G. erzählt lachend, dass dieses Wort manche schon irritiert habe. Einer habe sogar als ernstgemeinte Alternative „Empfangsdamen“ empfohlen. Ein Vorschlag aus dem Geist des neuen Begrüßungsmanagements für Flüchtlinge?

Die Initiatorinnen von „Saheli“ sind inzwischen verstorben, es gibt zwar noch eine Vereinsstruktur, aber fast alle Mitglieder haben sich aus der praktischen Arbeit zurückgezogen, Nachwuchs fehlt. Frau G. macht weiter. Der Landkreis und die Stadt tragen nach wie vor anteilig eine Grundfinanzierung (z.B. die Miete für die geräumige Wohnung im Erdgeschoß des nahe dem Bahnhof gelegenen Altbaus). Damit würdigen sie die niedrigschwellige Stadtteilarbeit mit Migrantinnen, vorwiegend türkischer und arabischer Herkunft, neuerdings verbunden mit der nachdrücklichen Empfehlung, die bislang punktuelle Kooperation mit dem Frauenzentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu intensivieren.

Auf verschiedene Weise wird versucht, das Budget aufzustocken. Ein Flohmarkt hat wenig gebracht, mehr schon die kostengünstige Überlassung der Räumlichkeiten für Geburtstags- und Familienfeiern. Die Grundidee ist zündend: da Migrant_innen oft eher kleine Wohnungen haben, brauchen sie einen Ort für Feste. Die Botschaft des Schildes an der Tür von „Saheli“, „Zutritt nur für Frauen“, wird zu solchen Zwecken pragmatisch außer Kraft gesetzt: „Auch die Väter wollen ja wissen, wo ihre Kinder Geburtstag feiern.“ Zum „Frauenfrühstück“ tragen u.a. Spenden der lokalen Tafel bei. Frau G. arbeitet inzwischen nicht mehr auf Ein-Euro-Basis, sondern betreibt „Saheli“ für Null Euro weiter unter dem Vorbehalt, dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung zu stehen. Dieser Vorbehalt von Amts wegen hat aber praktisch kaum Auswirkungen, auch der hiesige Arbeitsmarkt heißt Frauen ihres Alters nicht willkommen.

Jeden Vormittag ist Frau G. in der „Werkstatt“, wenn Termine anfallen auch mal nachmittags. Sie hilft bei der Anmeldung von Kindern in der Schule, beim Ausfüllen amtlicher Formulare; wenn es sein muss, setzt sie sich auch in den Bus und begleitet eine Frau zum Arzt. Sogar Deutschunterricht gibt sie. Zwar ist der nicht zertifiziert, da dafür die Voraussetzungen nicht gegeben sind, aber das Deutschsprechen ist eingebettet in praktische Aktivitäten, Kochen zum Beispiel, und macht Spaß. Sie habe es einfach nicht geschafft, sagt sie, „Saheli“ nach dem Tod der Gründerinnen nicht weiterzubetreiben, auch wenn sie manchmal am Ende ihrer Kräfte sei: „Aufhören, das kann ich meinen Mädels nicht antun.“

Fragen wie „Was wollen sie noch?“ oder „Was bleibt?“, die die Selbsthistorisierung des Feminismus begleiten, werden hier auf eine Weise beantwortet, die mich berührt hat. Da ist anscheinend ein „Nachlass“ angenommen worden, eine „Verlassenschaft“, wie es so schön im Österreichischen heißt. Dieser „Nachlass“ wird von Frau G. und den verschiedenen Nutzerinnen der Einrichtung weitergetragen als Praxis, die weder unmittelbar von den gesellschaftskritischen Deutungen des Feminismus inspiriert ist, noch sie zu Legitimationszwecken heranzieht, die aber in einem Geist der praktischen Frauensolidarität Probleme aufgreift, um im Alltagleben Unterschiede zu bewirken.

Während unseres Gesprächs klingelt mehrfach das Telefon, werden Verabredungen getroffen, schaut eine zur Tür herein. Man mag es angesichts der Rahmenbedingungen kaum glauben: Saheli lebt.

Axeli Knapp