„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Die Gesundheitswissenschaftlerinnen Petra Kolip und Rainhild Schäfers legten vor kurzem eine Studie über die Nutzung der Schwangerschaftsvorsorge vor – mit alarmierenden, aber wenig überraschenden Ergebnissen. So ließen selbst Frauen, bei denen kein belastender Befund vorlag, im Schnitt sechs Ultraschalluntersuchungen durchführen. In erster Linie handelt es sich hier um eine Folge der geradezu klassischen Medikalisierung des Frauenkörpers – ist er außer Rand und Band oder einfach nur schwanger, wird er regelmäßig observiert. Verwunderlich ist dies freilich nicht. Bereits seit Erfindung der Gynäkologie im 18. Jahrhundert gilt der weibliche Körper als absonderlich und deshalb als behandlungsbedürftig. Das „tiefe Dunkel der Frauen“, vor dem sich die Gynäkologen des 18. und 19. Jahrhundert so fürchteten, wird nun ausgeleuchtet. Infolgedessen wird auch das „Frauwerden“ von jungen Mädchen längst nicht mehr von der ersten Regelblutung eingeleitet, sondern von dem ersten regelmäßigen Besuch bei der Gynäkolog_in. Denn die weiß, „ob alles normal ist“ und klärt diese wichtige Frage in der eigens dafür eingerichteten Mädchensprechstunde. Die frühe medizinische Kontrolle des Körpers scheint zu einer Art Initiationsritus avanciert zu sein, der Mädchen schon früh in gynäkologische Praktiken einbindet. Sie wachsen mit Abstrichen und Abtasten auf; Ultraschallgeräte und Mikroskope gehören zu ihrem gesundheitlichen Alltag wie Zähneputzen und Hautlotionen. Frauenkörper sind damit nicht nur erreichbarer für allerlei Techniken, Frauen sind scheinbar auch bereitwilliger, diese Techniken zu nutzen.

All dies ist längst bekannt und vielfach aus feministischer Perspektive kritisiert worden. Medikalisierung als ein Prozess, bei dem die Verantwortung für alltägliche Körperprozesse in die Hände der Medizin gegeben wird, ist damit der Begriff, der die Überversorgung von Schwangeren erklären kann. Aber nicht nur. Denn im Falle der Schwangerschaft ist der Frauenkörper nicht nur unter medizinischer Kontrolle, er wird gleichzeitig Bestandteil eines umfassenderen Dispositivs: dem der Mütter. Das Mütter-Dispositiv, mit Foucault definiert als ein Zusammenspiel von Diskursen (z.B. über Vorsorge und Gesundheit), Praktiken (Sport, Stillen, Wickeln) und Vergegenständlichungen (Kliniken, Geburtshäuser, Kindertagesstätten) operiert dabei ganz im Sinne der Optimierung. Und dies – das ist das Besondere an der Sache – gleich in zweifacher Hinsicht. Denn hier geht es nicht nur um die Frau, sondern auch um das (ungeborene) Kind: Frühförderung beginnt bereits im Leib der Mutter mit der korrekten Musikauswahl; Gesundheit wird durch CTG, Nackenfaltenmessungen und Bluttests garantiert; Schönheit für den Babybauch gibt es mit Öl und Entspannung für alle mit Tee. Nach der Geburt geht es dann erst richtig los: Weight Watchers für Wöchnerinnen, Babymassage gegen den Weltstress der ersten Wochen, Pekip-Kurse für die frühe Förderung, Breiberatung, bilinguale Erziehungskonzepte, Workshops zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Hilfestellung bei den Anträgen für eine Mutter-Kind-Kur.

Mutter-Werden und Mutter-Sein ist damit keine einfache soziale Tatsache, sondern geht mit einer Vielzahl von Erwartungen und Erfordernissen einher, die medizinisch, aber vor allem ideologisch geprägt sind. Was das Richtige für die Mutter und das (ungeborene) Kind ist, ist genau definiert und politisch-medizinisch abgesteckt. Ultraschalldiagnostik, um Normalität abzuprüfen, ist hier nur die Spitze des Eisberges. Anders ausgedrückt: Medikalisierung ist nur ein kleiner Bestandteil dessen, was ich als Maternisierung beschreiben möchte. Mit Maternisierung meine ich eine „Vermütterlichung“, die mit sozialen Erwartungen und Zwängen einhergeht. Die umfassende medizinische (Vor-)Sorge gehört ebenso dazu wie die Sorge um Frühförderung des Kindes (es soll mal auf das humanistische Gymnasium gehen), die Sorge um den Mutterkörper (er soll schlank und fit sein, bloß keine Streifen!) oder die um die Mutterrolle, die sich an der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit messen lassen muss, ohne das Wohl des Kindes zu gefährden.

Maternisierung als die Optimierung des Mutter-Kind-Daseins erscheint auf der Ebene der Repräsentation zunächst wandelbar: Die Zeiten, als Mutter Beimer geradezu ikonisch den Kochlöffel schwang und Klausi dabei die Nase putzte, sind längst vorbei. Nun sind es auch Stars wie Kate Middleton, Angelina Jolie oder Beyoncé Knowles, die Mütterlichkeit mitunter neu definieren und zeigen, dass wirklich ALLES geht: Die Vereinbarkeit von Schönheit, Karriere, politischem Engagement, Kindern und das gleichzeitige Bekenntnis zum Popfeminismus auf der Bühne sind machbar. Das Magazin GALA geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn es Kleinkinder zum Accessoire der diesjährigen Fashionweek ausruft. Und dass auch in meinem Büro – dem Büro einer berufstätigen Mutter, die mehr schlecht als recht diesem Bild entspricht oder entsprechen möchte – ein Plakat mit der Aufschrift „YOU HAVE THE SAME AMOUNT OF HOURS IN A DAY AS BEYONCÉ“ aufgehangen wurde, möchte ich nicht verheimlichen.

Ausdruck der Maternisierung sind meines Erachtens jedoch vor allem neu aufgelegte Zeitschriften wie MUM, Mama’s Life oder Brigitte Mom. Hier wird die Vermütterlichung gegenständlich, indem Strategien vermittelt werden, wie eine Mutter zu einer ebensolchen wird: durch Yoga, durch das Brechen des Tabus des Langzeitstillens, durch Fitness oder auch durch Mode (selbstverständlich für sie und den Säugling, stil- und stillgemäß). Natürlich geht es auch – etwas augenzwinkernd – um den „ganz normalen Alltagswahnsinn“. Strukturelle und/oder politische Fragen, warum Muttersein überhaupt wahnsinnig macht, werden selbstredend ausgespart. Hierfür gibt es Mutter-Kind-Kuren.

So erscheint das Bild der Mütter auf den ersten Blick wandelbar, das Spannungsverhältnis und die Widersprüche, die mit dem Muttersein einhergehen, sind es nicht. Da hilft auch keine Studie über „Regretting Motherhood“, die selbstredend als ebenso tabubrechend dargestellt wird wie das Langzeitstillen. Denn ist eine Mutter einmal maternisiert, unterliegt sie dem Optimierungswillen und -wahn, da Politiker_innen, Mediziner_innen und vor allem andere Mütter immer wissen, wie alles noch besser gehen könnte.

Augenfällig ist dabei die spezifisch biologistische Annahme, dass nur Frauenmütter wissen, wie Sorge funktioniert. Aufgrund ihrer leiblichen Erfahrung scheinen nur sie die legitimen Dispositiv-Teilnehmerinnen zu sein. Die Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen, welche zumeist nach der Geburt des ersten Kindes eintritt und strukturell durch Betreuungsgeld und Ehegattensplitting gefördert wird, zementiert diese Einschränkung ebenso wie das Verschweigen von Vätern, Co-Müttern und anderen Freund_innen, deren Sorge um die Kinder wohl nicht geringer ausfallen dürfte. Wenn also aus einer feministischen Perspektive die Medikalisierung des Frauenkörpers während der Schwangerschaft kritisiert wird, so sollte dies mit einer grundsätzlichen Infragestellung der Maternisierungsprozesse und ihrer Vergeschechtlichung einhergehen. Denn die Politik des Ultraschalls ist weitreichender als das schiere Ausleuchten des Frauenkörpers; sie erhellt auch ein zutiefst disziplinierendes und normierendes Dispositiv.