„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Radwa Khaled, Inga Nüthen und Constanze Stutz nehmen die Leser*innen in ihrem Beitrag, „Zwischen Aufbruch und politischer Depression. Ein Austausch über queer-feministische (Ermöglichungs-)Räume im Digitalen und der virtuellen Lehre“, mit auf eine Reise, auf der sie die Erfahrungen mit digitaler Lehre während der Corona-Pandemie thematisieren. Die Marburger Lehrenden beschreiben ihre ursprüngliche Begeisterung für die Gelegenheit, mittels digitaler Lehre queer-feministische Möglichkeitsräume zu eröffnen und die Isolierung der ersten Pandemiephase zu durchbrechen. Diese Euphorie wich dann aber in den weiteren Corona-Semestern einer zunehmenden Desillusionierung. Auf Präsenz und reale Begegnungen kann eine kritische Lehre oder eine Lehre, die sich als Teil eines queer-feministischen Projekts versteht, nicht verzichten, so das Resümee. 

Katharina Liebsch setzt in ihrem Beitrag „Von den Kacheln in den Räumen und dazwischen – fundieren und weiterdenken“ die Reise fort. Sie setzt die Erfahrungen mit digitaler Lehre in den Kontext einer Tradition der Medien- und Wahrnehmungsforschung einerseits und der (post-)phänomenologischen Soziologie andererseits, die schon lange der Frage nachgehen, wie Sozialität, Wirklichkeit und Erfahrung im Digitalen organisiert werden und in welchem Verhältnis digitales Erleben und Offline-Weltwahrnehmung stehen.

Wer dazu mehr lesen will, sei auf den Band „Ferne Körper. Berührung im digitalen Alltag“ verwiesen, den Katharina Liebsch zusammen mit Gabriele Klein in 2022 im Reclam Verlag veröffentlicht hat.

Beide Beiträge stehen im Kontext des aktuellen Hefts der feministischen studien, welches Queerfeministische Perspektiven auf Subjektivierungsweisen des Digitalen wirft.


Zwischen Aufbruch und politischer Depression. Ein Austausch über queer-feministische (Ermöglichungs-) Räume im Digitalen und der virtuellen Lehre

Radwa Khaled, Inga Nüthen, Constanze Stutz

Im Sommersemester 2021 haben wir uns als Teil des Lehrteams am Arbeitsbereich Politik und Geschlechterverhältnisse des politikwissenschaftlichen Instituts der Philipps-Universität Marburg kennengelernt und bis zum Sommersemester 2022 neben viel Frustration auch anregende und spannende Diskussionen um die Möglichkeit queer-feministischer Räume im Digitalen geführt, die wir hier mit dem Stand März 2022 dokumentieren. Unsere Diskussionen über solche (Ermöglichungs-)Räume erlebten wir als gemeinsame Suchbewegung, in der wir nicht mit einer Stimme sprechen, sondern im kontroversen Dialog Antworten suchen.[1] Wir versuchen, wie Corine Kumar es beschreiben würde ‚fragend voranschreiten‘ (asking we walk) (Kumar 2011). Die gemeinsame Kartographierung unserer Lebens- und Lehrverhältnisse (Gago 2021) ernst zu nehmen, verstehen wir als eine Form der politischen Praxis. Im Folgenden bilden wir diesen Diskussions- und Suchprozess in Form eines Austauschs ohne zugewiesen Autor*innenschaft ab. Das darin auftretende Subjekt ist ein kollektives, als solches konflikthaft und nicht mit sich identisch. Wenn wir in Ich-Form schreiben, machen wir die unterschiedlichen Perspektiven deutlich, die in unserer Diskussion relevant geworden sind.

Der Beginn eines gemeinsamen Austauschs 

Euphorisiert hat uns initial die gemeinsame Beobachtung, dass wir in unserer Lehrpraxis andere und neue (Ver-) Bindungen mit den Studierenden und auch miteinander gefunden hatten – Räume, die – so schien es uns – durch die besonderen Bedingungen überhaupt erst ermöglicht wurden. Wir widersprachen mit großem Verve Rita Segato, die in den ersten Monaten der Pandemie schrieb „Wir werden immer wieder aufgefordert, die physische Distanz nicht mit der sozialen gleichzusetzen […]. Genau da liegt ein großer Irrtum: zu denken, die physische Distanz sei nicht auch eine soziale“ (Segato 2020). Trotz des Digitalen hatten wir das Gefühl, die soziale Distanz zwischen uns und den anderen auch über den virtuellen Raum hinaus überbrücken, gelegentlich sogar überwinden zu können.

In meinen Seminaren hatte ich den Eindruck, dass es möglich war Räume zu schaffen, die es zu dieser Zeit nicht wirklich gab. Räume, in denen queere und feministische Perspektiven diskutiert, eine Art Community-Gefühl und Sichtbarkeit hergestellt werden konnten. Wir – die Studierenden ebenso wie ich selbst – waren ja weitgehend isoliert in unseren Wohnungen, teilweise waren Studierende gar nicht in Marburg und ohne Bezüge zu Kommiliton*innen. Der Kontakt im Digitalen hat (Ver-)Bindungen erst ermöglicht und ein Gefühl von Gemeinschaft hergestellt, dass wir sonst in physischen Räumen suchen und finden. Die Seminarsitzungen haben den Alltag im Lockdown durchbrochen, uns in Kontakt gebracht und waren dadurch, dass wir gleichzeitig alle in unseren privaten Räumen waren, in besonderer Weise intim. Die Emotionen vieler Beteiligter waren präsenter als vor der Pandemie und haben eine besondere Nähe geschaffen.

Die Sitzungen waren für mich und für die Studierende, wie sie später berichteten, eine Art „coming home out of home“. Allein durch die Anordnung der Kacheln nebeneinander, waren die Hierarchien gebrochener. Vor allem aber in einer Zeit, wo wir alle sehr nach einem Raum des Gemeinsamen gerungen haben, war der Seminarraum ein Ort, um die Welt in Ruhe zu betrachten und uns als politische Subjekte darin zu verorten. Dafür gab es eine Sehnsucht, da die Welt durch die Lockdowns immer ferner und ferner schien, während rassistische, sexistische und andere Formen der Gewalt immer erfahrbarer wurden. Durch die geteilte Sehnsucht, aber auch geteilten Fragen entstand ein Gefühl der „Freund*innenschaft“´, wie es eine Teilnehmerin nannte. 

Rückblickend auf diese erste Zeit der digitalen Lehr im Lockdown stellten wir später fest: Unsere Einschätzungen verknüpften sich stark mit dem Gefühl, es mit einer Übergangssituation zurück in den Präsenz-Lehrbetrieb zu tun zu haben. Die Seminare waren für uns (unter anderem) eine Bewältigungsstrategie des krisenhaften Alltags, gerade in den ersten Monaten der Lockdownmaßnahmen (Wir hoffen, nicht nur für uns, sondern auch für die Studierenden.). Allein in der eigenen Wohnung, mit geschlossenen Bibliotheken und Kneipen wurden unsere Seminare zu jenen wenigen Orten des solidarischen Austauschs, der gemeinsamen kritischen Reflexion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und der Suche nach geteilten Erfahrungen, die uns zur Verfügung standen. Aber: Je länger die Pandemie andauerte, desto mehr spürten wir doch den Bruch, den Segato beschreibt. Wir konnten gar nicht mehr greifen und nachempfinden, was uns eigentlich so euphorisiert hatte.

Die Zeit der Pandemie als Pendelbewegung zwischen Ohnmacht, Erschöpfung und Aufbegehren

Mittlerweile sehe ich die vergangenen zwei Jahre Online-Lehre als eine (gefühlt endlose) Pendelbewegung zwischen Ohnmacht und Erschöpfung und einem immer wieder neu ansetzenden produktiven Aufbegehren, dass diesem veralltäglichten Krisenzustand gerade die Räume des Miteinander-seins und -redens abringen will und auch muss, um nicht gänzlich in die andere Richtung auszuschlagen. 

Ich erlebe das zweite Pandemiejahr zusätzlich als Zuspitzung einer politischen Depression, in der ich mich von der Welt abgeschnitten habe, um weitermachen zu können. Immer öfter habe ich die Bindung an die Antworten auf die (Ver-)Schärfung der Krisen verloren, die unsere gesellschaftlichen Verhältnisse prägen. Das findet auch Ausdruck in meiner Lehre, in die ich immer sehr viel Energie gesteckt und auch welche aus ihr gezogen habe. Das fühle ich gerade deutlich seltener, und es ist mir nicht oft gelungen diese negativen Gefühle als politische zu artikulieren.

„Ich weiß gar nicht, was die Hochschulleitung oder das Institut anders hätte machen können. Es ist nun mal Pandemie.“ sagte eine*r meiner Studierenden in unserer Abschlusssitzung auf die Frage, ob ich Wünsche oder Forderungen zur Veränderung der Lehre unter Pandemiebedingungen an die Institutsleitung weiterkommunizieren soll. Mir stellt sich die Frage, wie die Strukturen der Universität auch in diesen Zeiten mit den Studierenden gemeinsam reflexiv gestaltet werden können. Wie diese damit auch als politische sichtbar gemacht werden können, da sie weiterhin – und noch einmal zugespitzt in Zeiten der Pandemie – entlang neoliberaler Sachzwanglogiken reguliert und flexibilisiert werden und gleichzeitig kritisches Hinterfragen der eigenen Bedingungen durch Einsparmaßnahmen, Konkurrenz- und Leistungsdruck erschwert wird. 

Die Sachzwanglogik der Universitäten und der pandemisch verlängerte (Ausnahme-)Zustand gehen Hand in Hand. Es stimmt, ich weiß auch nicht immer klar zu benennen, was anders hätte gemacht werden können, müssen, sollen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sich Machtstrukturen, Logiken und Handlungen, die vorher schon angelegt waren, weiter verfestigen und noch weniger in Frage gestellt werden (weil man gar nicht mehr weiß, wo anzusetzen wäre). An wen richtet man die Forderungen nach anderen Studienbedingungen? Wer sind die Subjekte der Veränderung? Was haben die Bedingungen der pandemischen Lehre mit uns gemacht? 

„Ich arbeite nicht unter diesen Bedingungen.“ haben wir zu selten gesagt in den letzten zwei Jahren.

Gerade im universitären Mittelbau die eigenen Arbeitsbedingungen (kollektiv) zu hinterfragen und zu politisieren ist unter neoliberalen Bedingungen so oder so eine Herausforderung. In den letzten zwei Jahren verstärken zwei Bewegungen die ausbleibende Politisierung meiner eigenen Arbeitsverhältnisse noch einmal erheblich: zum einen das Gefühl die Kontrolle (über das eigene Leben, meinen Körper etc.) behalten zu wollen. Zumindest in der Arbeit und über die Möglichkeit der Strukturierung einer unstrukturierten Umgebung. Und zum anderen mein Anspruch, die Studierenden nicht ins Bodenlose fallen zu lassen. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage: Warum haben wir uns nicht verbündet, nicht gestreikt, uns nicht kollektiv diesen Arbeits- und Studienbedingungen verweigert?

Während wir zu Beginn Hoffnung in auch digitalen (Ermöglichungs-)Räumen gefunden haben, wurden diese Räume im Verlauf der Zeit immer enger. Die Zuspitzung gesellschaftlicher Krisendynamiken traten schärfer in den Vordergrund und die eigenen Ressourcen für die Sorge um sich und andere wurden ein immer knapperes Gut. Das Pendel schlägt mittlerweile stärker Richtung Hoffnungslosigkeit aus. Unsere eigene Lebens- und Arbeitssituation, die Herausforderungen der Pandemie und globale politische Entwicklungen machten vor den Seminarräumen nicht halt. Die politische Hoffnungslosigkeit spiegelt sich auch in den schwarzen Kacheln der ZOOM-Räume.

Die langen Linien der Ernüchterung 

Nachträglich zeigen sich erst die langen Linien der Narrationen, die die herrschenden Erzählungen bestimmen: Von unseren euphorischen Gesprächen im Sommersemester 2021 spannt sich mittlerweile die fortgesetzte Erfahrung eines: „Es geht einfach immer so weiter.“ Sich immer wieder zusammenzunehmen und trotz allem und wegen allem weiterzumachen, weiter zu versuchen gemeinsam mit der veränderten Situation und Erfahrungen umzugehen und emanzipatorische Räume zu gestalten, ist ein großer Kraftakt.

Gerade das allgemeine „Weiter so!“ erschöpft. Wir haben uns selbst in die neoliberale Anrufung eingereiht, die die Bedingungen des Gelingens unseres Handelns auf unseren Leistungswillen reduziert, anstatt dem eigentlichen Impuls unserer Kritik zu folgen und die Gelegenheit zu nutzen, um den gesellschaftlichen Normalzustand zu verweigern. Warum ist nicht das Scheitern an den Umständen und Verhältnissen – wie etwa Jack Halberstam es imaginiert hat (Halberstam 2011) – zum Bindeglied und Moment unseres politischen Handelns geworden? 

Hinzu kommt, dass ich meine in vielen Punkten auf Räume des (Halb-) Öffentlichen angewiesene Lebens- und Existenzweise jenseits des heteronormativen Normalzustandes völlig neu organisieren musste und viel Kraft in meine engen Netzwerke gebe und daraus ziehe. Das ist auch eine sehr schöne Erfahrung, die meinen Fokus aber auf andere, sorgende Aspekte des Alltäglichen als politischen Ort verschoben hat.

Wir erleben aber auch die Ambivalenzen der Pandemie, den grausamen und trügerischen Optimismus, den Laren Berlant so treffend beschrieben hat (Berlant 2011). Er findet Ausdruck in unseren Sehnsüchten nach dem Normalen und macht sichtbar in welchem Meer der Widersprüche wir versuchen zu schwimmen. Wir vermissen die halb-öffentlichen Orte, die unser (Über-) Leben in der heteronormativen und rassistischen Normalität sichern. Denn es fehlen die Räume, in denen Beziehungen und Lebensweisen probiert und gelebt werden, die widerständig sind. Wir können sie auf Dauer nicht im Digitalen reproduzieren. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwiefern diese überhaupt tragend waren. Letztlich kommt eine politische Melancholie auf, die den Verlust des nicht Erreichten betrauert. Gleichzeitige intensivieren sich unsere Beziehungen an allen (noch) möglichen Orte.

Grenzen und Möglichkeiten einer solidarischen Lehre 

Digitale Lehre ist nicht an sich gut. Sie kann gelingen oder nicht. Die Qualität der digitalen Lehre hängt auch von ihren spezifischen Ermöglichungsbedingungen ab. Wer bleibt eigentlich dabei? Wer kann dabei sein? Welche Körper betreten am Ende noch den digitalen Raum? Und hier lässt sich deutlich beobachten, dass wir Studierende verloren haben, deren Lebensverhältnisse prekär und prekärer geworden sind. 

Aus materialistischer Perspektive würde ich sagen, es fehlen nun mal doch die Körper im Raum, es fehlt der Raum. Die Ungleichheiten, die man materialistisch erfährt, fließen in den virtuellen Raum und begrenzen jegliche Möglichkeiten stärker als vor der Pandemie, die sowieso diese Ungleichheiten verstärkt und geschärft hat. Vor allem, in einem sich als politisch verstehenden Seminarraum, kann während der Pandemie erfahrene Gewalt nicht adäquat aufgefangen werden. Räume der politischen Carearbeit fehlen nun noch mehr.

Gerade mit Blick auf aktuell und auch unter pandemischen Bedingungen stattfindende soziale Kämpfe um antirassistische, soziale und ökologische Reproduktion und feministischen Entwürfen des radikalen sozialen Wandels verstehe ich die derzeitige politische Lage nicht als eine für emanzipatorische Projekte verlorene, sondern vielmehr als eine umkämpfte – eine von verbundenen Krisendynamiken durchzogene Zwischenzeit deren Ausgang weithin offen ist (Gramsci 1996: 354). In der Gestaltung des Neuen setzen für mich auch (neben vielem anderen) die Möglichkeitsräume von Lehre an: Wie gestalten wir neue Formen des Miteinander-seins, -denkens, -lebens? Wie schauen wir auf die Macht- und Herrschaftsverhältnisse? Wie verorten wir uns selbst in dieser Gemengelage? Welche sozialen Bewegungen und Kämpfe werden als politische verstanden und welche Ideen gibt es, die Gesellschaft hin zu einer solidarischen zu transformieren? Woran können wir anschließen, und warum ist uns das so oft verwehrt? Es stimmt: Das Ganze wird durch die begrenzten Möglichkeiten tatsächlicher Kommunikation und kollektiver queer-feministischer Denkzusammenhänge in digitalen Räumen erschwert. Das reale Aufeinandertreffen von Menschen, von Körpern, die gemeinsam in einem Raum sind, diesen organisieren und gestalten, schafft die Grundlage für solidarische Beziehungsweisen (Adamczak 2017). Gerade in diesen Zeiten geht es auch darum, die eigene Verletzlichkeit und Betroffenheit in diesen emotional immer wieder anstrengenden und herausfordernden Zeiten in die Lehre mit einzubringen. Trauer um verpasste Zeit, gemeinsame Seminare oder eine zuvor erlebte oder noch nie erlebte Studienzeit ebenso wie politische Verluste gemeinsam zu gestalten und so zu einem Teil queer-feministischer Räume werden zu lassen, eröffnet neue Begegnungsräume. 

bell hooks glaubte daran, dass der (feministische) Seminarraum, der radikalste Ermöglichungsraum in der Akademie ist (hooks 2003) – auch trotz und gerade wegen der die Universität durchziehenden Ungleichheitsverhältnisse. Daran muss ich oft denken. Die eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen reflexiv und damit auch radikale Solidarität unter Ungleichen zu gestalten ist ein politisches Programm, das auch in der Lehre Bedeutung haben kann. An dieser Hoffnung festzuhalten, ist vermutlich die Aufgabe kritischer Lehre, deren Bedingungen im Rahmen gerade der (neoliberalen) Universität mit ihren Hierarchien, Prüfungsanforderungen und konkurrenten Logiken eher verhindernd als ermöglichend sind. 

Lichtblicke, Hoffnungen und die Idee eines gemeinsamen politischen Projekts

Wir haben unseren gemeinsamen Austausch im zweiten Pandemiesemester begonnen und uns bisher auch nur digital getroffen. In den letzten Monaten bin ich oft erschöpft in unsere Gespräche gegangen und mit neuer Kraft wieder hinaus. Es gibt es also doch, dieses Moment feministischen Verbundenseins, das Hoffnung gibt. Das hat mich motiviert weiter durchzuhalten, auch wenn Vieles sich gerade sinnlos anfühlte. 

Neben diesen digitalen Räumen waren es für mich gerade Kundgebungen und Demonstrationen, z.B zum 8. März oder gegen Querdenken in Leipzig, auf denen ich Kollektivität und Verbindung, gemeinsame Organisation und Handlungsmacht auch unter Pandemiebestimmungen spüren konnte. Auch die feministische Politisierung nach einem Femizid im März 2020 führte zu einer breiten Vernetzung bestehender und neu gegründeter Gruppen sowie zu neuen Formen des feministischen Protests: Neben einer breiten Inanspruchnahme des öffentlichen Raums in den folgenden Monaten kam es nach dem Bekanntwerden von Fällen von Vergewaltigungen, sexuellen und sexualisierten Übergriffen im Stadtraum innerhalb kürzester Zeit immer wieder zu Spontandemonstrationen. Der Grad der Organisation entwickelte in dieser Zeit eine für mich neue Qualität. Auch diese Entwicklungen mit den Studierenden gemeinsam im Anschluss an feministische Theorien des radikalen sozialen Wandels und an soziale Bewegungen zu besprechen, die gegenwärtig soziale und ökologische Reproduktionsfragen politisieren, hat die Auseinandersetzungen im Seminar an eine Wirklichkeit zurückgebunden, die uns in Zeiten der Pandemie manchmal schwer zugänglich war.

Von den Kacheln in den Räumen und dazwischen 

Der Prozess der Suche und des Schaffens (queer-)feministischer Seminarräume, seien sie online oder offline, war und ist kein linearer Prozess. Eher eine fragende, im Kollektiv aus Kolleg*innen und Studierende zusammen gestaltete Reise. Eine Reise, die sich nach Position im Globalen und Lokalen sehr unterschiedlich für die Fragenden gestaltete und sich doch gleichzeitig, wie in diesem kollektiv geschriebenen Beitrag, im Kollektiven wiederfand. Die Verbindung zwischen dem Kosmos der online und offline Kommunikation, wie z.B. bei der 8. März Demonstration hat gezeigt, welche Brüche und gleichzeitig welche Ermöglichungsräume beide Sphären und mögliche Zwischenorte enthalten. Diese Ermöglichungsräume sind aber nicht abgekoppelt von der Welt, ihrer Widersprüche und Gewalt. Es sind daher immer erkämpfte Orte und Räume.                                                                               

In welche Richtung geht es weiter?

Lisa Duggan und Josè Esbetan Muñoz haben in einer Diskussion festgehalten, dass in den bestehenden Verhältnissen eine Position der Hoffnung und Hoffnungslosigkeit queer(-feministische) Welten am ehesten beschreiben und politisch definieren kann (Duggan/Muñoz 2009).  Vermutlich ist das auch genau die Herausforderung, vor der wir stehen. Dabei müssen wir einsehen, dass queer-feministische Räume in der digitalen Lehre nicht einfach geöffnet werden können. Wir müssen sie erkämpfen!  Und dabei die Ambivalenzen des Alltags (Bargetz 2016) aushalten und politisieren, anstatt ihre Überwindung anzustreben oder auf diese zu warten. 

Unsere Aufgabe könnte darin bestehen, das kollektive Moment zu bewerben, gemeinsam mit den Studierenden zu ermöglichen, einzuüben. Denn gerade in der Pandemie ist es schwieriger und seltener geworden kollektive Räume zu gestalten, die auch affektiven Überschuss und politische Auseinandersetzungen ermöglichen. 

Gleichzeitig sind und waren die digitalen Räume in der Lehre vor allem Teil einer Bewältigungsstrategie im Lockdown. Sie können uns, da stimmen wir heute mit Segato überein, die soziale Nähe nicht ersetzen. Deshalb wollen wir das Digitale nicht als neuen Normalzustand der Lehre beibehalten. Für wirkliche Ermöglichungsräume müssen wir Alternativen zum Digitalen denken und gestalten.

Literatur:

Adamczak, Bini (2017): Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp.

Bargetz, Brigitte (2016: Ambivalenzen des Alltags. Bielefeld: transcipt.

Berlant, Lauren (2011): Cruel Optimism. Durham: Duke University Press.

Gago, Verónica (2021): Für eine feministische Internationale. Wie wir alles verändern. Münster: Unrast.

Gramsci, Antonio (1996): Gefängnishefte, Band 7, Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug und Peter Jehle, Hefte 12 bis 15. Hamburg: Argument-Verlag.

Halberstam, J. (2011): The Queer Art of Failure. Durham: Duke University Press.   

hooks, bell (2003): Teaching Community. London: Routledge.

Kumar, Corinne (2021): Asking We Walk: The South As a Political Imaginary, Streelekha Publications, 2nd Edition.

Muñoz, José Esteban/Lisa Duggan (2009): On Hope and Hopelessness: A Dialogue. https://lisaduggan.substack.com/p/on-mourning-hope-and-hopelessness, zuletzt abgerufen am 15.01.2022.

Segato, Rita Laura (2020): „Physische Distanz bedeutet auch soziale Distanz!“, In: Nachrichtenportal Lateinamerika, 8.Mai 2020. https://www.npla.de/thema/feminismus-queer/rita-segato-physische-distanz-bedeutet-auch-soziale-distanz/, zuletzt abgerufen am 1. 12.2021. 


[1] Ein Dank geht an María Paz Acosta Ramirez, die in unseren ersten Gesprächen im Lehrteam die Perspektive der Studierenden beigesteuert hat.


„Von den Kacheln in den Räumen und dazwischen“ – fundieren und weiterdenken

Katharina Liebsch

Die von Radwa Khaled, Inga Nüthen und Constanze Stutz geschilderten Erfahrungen und Erlebnisse aus den vergangenen drei Jahren von Online-Lehre samt der sie begleitenden Ambivalenzen von Kontakt und Austausch einerseits und Reglement und Unbehagen andererseits sind so treffend beschrieben wie grundlegend relevant. Es dürfte wohl kaum eine Person geben, die das anschaulich beschriebene Hin-und-Her nicht auch genau so oder so ähnlich erlebt hat. Gleichermaßen bedeutsam ist das von den Autor:innen thematisierte grundsätzliche Problem, inwiefern Online-Kommunikation kollektive Räume mit „affektivem Überschuss“ und Möglichkeiten zur politischen Auseinandersetzung bereit hält und wie diese denn eigentlich organisiert und gestaltet werden könn(t)en. 

Dahinter steht die Frage, inwiefern digitale Kommunikationsräume mehr sein können als ein Ersatz für die Unmöglichkeit, sich ad personam – also als ko-präsente, körperlich Anwesende an einem konkreten Ort – zu begegnen und zu verbinden. Und diese Frage beantworten die Autor:innen schlussendlich mit Skepsis. Sie kommen in ihrer Reflexion der Erfahrungen von Vor- und Nachteilen, Optionen und Einschränkungen, Euphorie und Ernüchterung die kommunikativen Chancen und sozialen Ermöglichungen der Online-Lehre betreffend zu dem Schluss, dass digitale Kommunikationsräume „soziale Nähe nicht ersetzen“ könne und dass „wirkliche“ Erfahrungsräume außerhalb des Digitalen lägen. 

Was spricht für diese Schlussfolgerung? Was gegen sie? 

Sowohl die Medien- und Wahrnehmungsforschung als auch die (post-)phänomenologische Soziologie gehen schon lange der Frage nach, wie sich Sozialität, Wirklichkeit und Erfahrung im Digitalen organisieren und in welchem Verhältnis digitales Erleben und Offline-Weltwahrnehmung stehen. Früh hat Vilém Flusser argumentiert, dass bereits die selbstverständlich erachtete Gegebenheit von Digitalität illusionär und imaginativ sei. Einerseits, so Flusser, werde die digitale Wirklichkeit durch die taktile Berührung des Geräts erzeugt. Andererseits erhalte die digitale Wirklichkeit ihre Bedeutsamkeit aufgrund von „Einbildung“ (Flusser 1996: 39 ff.). „Einbildung“ – andere sprechen auch von „Illusion“ und „Fiktion“  (z.B. Esposito 1995) – als produktives Element der Herstellung digitaler Wirklichkeit zeigt sich beispielsweise darin, dass die Darstellungen auf den Oberflächen der Bildschirme – beispielsweise die lächelnde Kollegin in der Videokonferenz oder das per Bildschirmteilung für alle sichtbar gemachte Foto oder Video – als konkret und unmittelbar wahrgenommen werden. Nicht gewahr hingegen werden die Voraussetzungen und Wirkungen ihrer technischen Herstellung. Die digitalen Inhalte und Bilder werden affektiv und inhaltlich-hermeneutisch erschlossen, obwohl ihnen die Unmittelbarkeit physischer Begegnungen fehlt – sie riechen nicht, geben keine Wärme ab und vermitteln sich nicht atmosphärisch, z.B. als sinnlich erlebte Aufregung geröteter Wangen oder dem Dunst emsigen gemeinsamen Nachdenkens. Vielmehr erzeugen digitale Kommunikationsräume eine Welt aus medialen Bildern und symbolisch und zeichenhaften Tele-Präsenzen, eine „Kultur der Simulation, wie die Technik- und Wissenschaftssoziologin Sherry Turkle (2011: 4) gesagt hat. 

Diese ist zugleich aber auch eine Kultur der Stimulation. Digitale Begegnungen stimulieren, weil sie berühren und affizieren (Klein/Liebsch 2022). Die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit ermöglicht es, sich das, was woanders ist oder ggf. auch gar nicht existiert, imaginativ zu vergegenwärtigen oder sich vorstellend-entwerfend einzufühlen und so die digitalen Welten zur Ergänzung und Erweiterung des Alltagslebens zu machen. Das kann „soziale Nähe“ erzeugen wie auch einem „wirklichen Erfahrungsraum“ gleichkommen.

Sozialer Kontakt und gegenseitige Affizierung sind also im Digitalen durchaus möglich. Digitale Bilder, Worte und Sensomotorik werden vermittels Wahrnehmung und Vorstellungsvermögen als Eintauchen in die virtuelle Welt sinnlich gespürt, erlebt und erfahren. Videokonferenzen, Posts, Streams und digitale Bilder werden von den Teilnehmenden gespürt, sie haben leibliche Komponenten wie auch imaginative Elemente.

Darüber hinaus bringt es die digitale Kommunikation mit sich, dass viele der technisch erzeugten Bilder und Zeichen uneindeutig sind und interpretiert und mit Bedeutung versehen werden müssen. Wahrnehmbar sind in der Videokonferenz nur Bild und Stimme. Es gibt keine Bezugnahme über den Blick, denn man kann sich nicht direkt in die Augen schauen. Der Blick richtet sich entweder auf das Kachelbild der anderen oder in die Kamera. Manchmal frieren die Bilder ein, mitunter bleibt das Videobild ausgeschaltet, und die Frage stellt sich: Sind die Anderen noch anwesend, noch dabei? Manche sprechen mit ausgeschaltetem Mikrofon, andere reden engagiert weiter, obwohl die Technik nicht funktioniert. In diesem Fall macht der Hinweis des Computers: „Ihre Verbindung ist instabil“ darauf aufmerksam, dass der Kontakt zwischen den Sprechenden einer Software zu verdanken ist. Auch moduliert die Videosoftware die Stimmen: Die Tonfrequenzen, in denen Frauenstimmen sich gemeinhin bewegen, sind technisch reduziert, sodass ihre Stimmen nicht so wie in Präsenzsituationen zum Ausdruck kommen können. Die eigenen Mikrofone werden während des Zuhörens ausgeschaltet, und dies ist mehr als ein höfliches Nicht-Hineinreden-Wollen. Es ist auch eine durch Technik ermöglichte Unterbrechung des Gesprächs und zudem eine Ausschaltung vieler atmosphärischer Räume, die über die Kachelbilder allenfalls erahnbar sind. Denn es sind nicht nur Bildräume, in die sich die Einzelnen in Position setzen. Es sind reale Orte, in denen sie auch sind, das heißt: in der sie die Anderen und die Situation leiblich erfahren. 

Dies macht deutlich: Bei Videokonferenzen entstehen Sozialität und Wirklichkeit im Sinne eines Raums zeitlicher Koordinierung, geteilter Aufmerksamkeit und gemeinsam erfahrener Praxis. Aber im Unterschied zur präsentischen Kommunikation ist der Ausdruck verändert. Die digital vermittelten Sozialitäten sind theatralisiert (intensivierte Mimik, Gesten des Winkens zur Begrüßung und zum Abschied, Gestaltung des Bildhintergrunds als Bühne), symbolisch fokussiert (durch derzeit wenige Emoji, die Gefühle zum Ausdruck bringen sollen) und durch die Verstärkung rhetorischer Elemente gekennzeichnet (z.B. vermehrter Einsatz von Dankesbekundungen, auch im Forum des Chat).

Das Erleben derartiger ‚Lücken‘ sowie ihre Deutungsanforderung schafft Raum für Affizierung, der psychologisch gesprochen projektive Gefühlsinvestitionen mobilisiert, und kulturtheoretisch formuliert als „Mit-Teilung“ (Nancy 2013), als Ausdruck relationaler Verschränkung von Körpern in Situationen fungiert. Entsprechend transportiert sich in der Affizierung die Erfahrung von Gemeinsamkeit, Wechselseitigkeit und lebensweltlicher Verankerung. Aber anders als die fortlaufende und dynamische Interaktion mit einem körperlich präsenten Gegenüber ist die Affizierung, die von digitaler Kommunikation ausgeht, nicht von der unmittelbaren Rückkopplung der emotionalen Regungen und Ausdrucksgesten bestimmt, durch die die Beteiligten im präsentischen Kontakt einander wahrnehmen. Die Affizierungen des Digitalen basieren auf Simulationen, Vorstellungen und Fiktionen. Sie haben Potenzial-Qualität. Und sie eröffnen Perspektiven und Versprechen. Die hier sichtbar werdenden Möglichkeiten müssen sich im Alltag noch ‚beweisen‘ und in den alltäglichen Lebenszusammenhängen mit ihren strukturellen Erfordernissen und Zwängen bestätigt oder relativiert werden. 

So macht digitale Kommunikation Konturen neuer relationaler sozialer Beziehungen sichtbar, die Digitalität einbeziehen und das soziale Miteinander als sozio-technisches Geflecht thematisieren. Zugleich ist digitale Kommunikation verbunden mit dem ambivalenten Erleben davon, dass die konkrete Ausgestaltung der Wechselbeziehungen von Online und Offline umkämpft und strittig ist. In der Erfahrung digitaler Kommunikation, die Radwa Khaled, Inga Nüthen und Constanze Stutz anhand digitaler Lehre in feministischen Kontexten reflektieren, zeigt sich die gesellschaftliche Anforderung der Ausgestaltung von sozialen Verhältnissen zwischen individualisierten, digital miteinander verbundenen Menschen und ihren Umwelten, die in Kontakt zu Anderen/m stehen: zu anderen Menschen, zur Natur, zum Klima, zu Wirtschaftsgemeinschaften. Dabei kann Digitalität Hilfestellung geben, aber die Notwendigkeit der materialen Kontakte und Beziehungen nicht ersetzen.

Literatur

Esposito, Elena (1995): »Illusion und Virtualität. Kommunikative Veränderungen der Fiktion«, in: Werner Rammert (Hg), Soziologie und künstliche Intelligenz. Produkte und Probleme einer Hochtechnologie. Frankfurt/M./New York, S. 187–216.

Flusser, Vilém (1996): Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen. 

Klein, Gabriele/Liebsch, Katharina (2022): Ferne Körper. Berührung im digitalen Alltag. Ditzingen. 

Nancy, Jean-Luc (2013): Die Mit-teilung der Stimmen. Zürich/Berlin.

Turkle, Sherry (2011): Alone Together. Why we expect more from Technology and less from each other. New York.