Herausgeberinnen: Doris Gödl, Tanja Obex, Birgit Riegraf, Madeleine Scherrer
The ecofeminist perspective analyses capitalist, patriarchal and racist exploitation of humans and nature as hegemonic domination and appropriation of the re/productivity of life. (Bauhardt 2019b, S. 23)
Reaktionäre Kräfte gelten mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft als salonfähig. Sie attackieren immer schon und aktuell in unverhohlener Weise zentrale Errungenschaften des Feminismus, die das Resultat jahrzehntelanger beharrlicher Kämpfe sind (bspw. Beschneidung von Selbstbestimmungsrechten von Frauen*, Zurückdrängung von Frauen* in die Sphäre des Privaten, Verbote gendergerechter Sprache in öffentlichen Institutionen…). Darüber hinaus stellen sie wissenschaftliche Fakten etwa zur Klimakrise infrage, und sie torpedieren sowohl aktivistische Interventionen, die eine ökologisch-gerechtere Lebensweise einfordern, als auch deren Akteur*innen.
In diesen Praktiken verknüpfen sich patriarchale Herrschaftsformen, Antifeminismus und kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse. Petromaskulinität ist das Konzept, das Cara New Daggett (2023) geprägt hat, um die Verknüpfung von Frauen*feindlichkeit und Klimawandelleugnung als Waffen „neuer autoritärer Bewegungen“ (ebd., S. 10) zu verstehen. Petromaskulinität bezeugt diese „wechselseitige Konstituierung, wobei neben Klimaangst auch gender anxiety zum Vorschein kommt, und frauenfeindliche Gewalt sich zuweilen als fossile Gewalt entlädt“ (S. 10f.; Hervorh. i.O.).
Diese spezifische Verknüpfung von Misogynie und Wissenschaftsfeindlichkeit (die sich u.a. in der Leugnung des anthropogenen Klimawandels zeigt), scheint uns eine neue, bedeutsame Beobachtung zu sein, die im aktuellen Klimadiskurs bislang keine Rolle spielt(e). Vielmehr dominieren dort technologiebasierte Lösungsansätze, die mit einer naiven Hoffnung auf einfache „technological fixes“ (Alaimo 2012, S. 563) verbunden sind. Sie basieren auf wissenschaftlich-technischen Machbarkeitsphantasien, wobei Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, insbesondere nach der Geschlechtergerechtigkeit, ausgeklammert werden.
Interessant ist, dass feministische Diskurse bereits in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrtausends Umweltfragen gestellt haben (bspw. die Antiatombewegungen in Deutschland, England, USA, die von Frauen* initiiert und getragen wurden). Mit dem Titel „Ökofeminismus“ haben Maria Mies und Vandana Shiva eine feministische Klassenanalyse und postkoloniale Kritik des gesellschaftlichen Mensch-Natur-Verhältnisses vorgelegt (vgl. Mies & Shiva 1995/2016). Die Reaktionen auf den Text mach(t)en deutlich, dass die Adressierung der Beziehung „Mensch-Natur“ im Feminismus schwierig und umkämpft ist. So kann den Autorinnen vorgeworfen werden, dass sie einen essentialistischen Ansatz verfolgen, der eine Naturalisierung von Körper und Geschlecht vornimmt und in einem binären Denken verhaftet bleibt. Eine solche Essentialisierung zeigt sich insbesondere dann, wenn Frauen* als umweltfreundlich, naturnah und als ressourcenschonende Konsument*innen adressiert werden (z.B. Lettow/Nessel 2022). Dadurch wird außerdem einer individualisierten Handlungsstrategie das Wort geredet.
Kritische, antiessentialistische Stimmen im Feminismus definieren das Mensch-Natur-Verhältnis neu, indem sie einen intersektionalen und queeren Ansatz realisieren (z.B. Gaard 2017; Sandilands 2001). Der material feminism (z.B. Barad 2007) sowie ein post- oder nonhuman feminism (z.B. Alaimo 2000; Haraway 2000; Grosz 2005) entfernen sich von binär angelegten Konstruktionen, indem sie zugleich die Heteronormativität und hierarchisierende, binäre Denkweisen „Kultur vs. Natur“, „Mensch vs. Natur“, „Vernunft vs. Natur“ etc. infrage stellen (z.B. Merchant 1994; Plumwood 1993). In diesen Ansätzen geht es zudem um eine Kritik an anthropologischen Fixierungen, die sich beispielsweise in der Verwendung der Bezeichnung „der Mensch“ zeigen.
Dieser erste kurze Abriss verdeutlicht bereits, dass es den Ökofeminismus nicht gibt, sondern dass wir – wie viele andere Autor*innen auch – von Ökofeminismen sprechen müssten, um den unterschiedlichen Strömungen Rechnung zu tragen (z.B. Hansen & Gerner 2024; Tsomou 2022). Bei aller Vielstimmigkeit ist den Ökofeminismen eine Auseinandersetzung mit Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen in unterschiedlichen Kontexten gemeinsam (z.B. Gago 2021; Peredo Beltrán 2018). So baut das kapitalistische System auf der Ausbeutung von Arbeit – insbesondere von derjenigen, die von Frauen* vermeintlich „gratis“ geleistet wird – und auf der Ausbeutung „natürlicher Ressourcen“ sowie der Ausklammerung lebensnotwendiger Reproduktions-, Regenerations- und Sorgearbeit auf (z.B. Bauhardt 2019a+b; Bauhardt & Harcourt 2019; Federici 2020, 2021; Tronto 1993). Christine Bauhardt spricht in diesem Zusammenhang von Ausbeutung und Unterwerfung menschlicher und natürlicher Ressourcen bei gleichzeitiger „Aneignung lebendiger ReProduktivität“ (2019a, S. 468).
Ziel dieses Schwerpunktheftes soll eine Erweiterung und Vertiefung ökofeministischer Diskurse sein. Wir freuen uns über Beitragsvorschläge zu folgenden Themenbereichen:
- Potenziale ökofeministischer Diskurse als erweiterte antikapitalistische/ antirassistische/ antipatriarchale Gesellschaftsanalysen
- Analysen ökofeministischer Interventionen als Antworten auf globale Herrschafts- und Ausbeutungsprozesse im Zusammenhang mit der Klimakrise
- Kritik an „Essentialisierung“ und „Naturalisierung“ von Körpern und Geschlechtern
- Schärfung feministischer (Grund-)Begriffe und Konzepte wie bspw. Produktion, Reproduktion, Regeneration, Sorge, Beziehungsweisen usf. in menschlichen und mehr-als-menschlichen Konstellationen
- Deutung politischer Kämpfe als Ausgangspunkte für feministische/ queere/ dekoloniale Analysen in ihrer Historizität und Aktualität
- …
Im geplanten Heft sollen Beiträge versammelt werden, die angesichts globaler sozialer und ökologischer Verheerungen beharrlich Kritik am Bestehenden üben; die aber weder uneinhaltbare Versprechen auf ‚einfache Lösungen‘ aufrufen noch grausame Hoffnungserzählungen (vgl. Berlant 2011) weitertreiben.
Extended Abstracts (ca. 3.000 Zeichen) können bis spätestens zum 15. Dezember 2025 an die folgende Adresse eingereicht werden: manuskripte@feministische-studien.de
Es können Abstracts für die Rubriken Hauptbeiträge (45.000 Zeichen inkl. FN und Literatur) und Diskussion (30.000 Zeichen inkl. FN und Literatur) eingereicht werden. Erwünscht sind außerdem Vorschläge für Tagungsberichte (10.000 Zeichen), (Sammel-)Rezensionen (10.000 Zeichen) und künstlerische Arbeiten für die Rubrik Bilder und Zeichen vorzugsweise, aber nicht ausschließlich zum Schwerpunkt des Heftes.
Die Rückmeldung zu den Abstract-Einreichungen erfolgt Ende Januar 2026; die Manuskripte müssen bis Ende Juli 2026 vorliegen. Das Feedback nach Double Blind Peer Review erfolgt im November 2026; bei Annahme ist eine Überarbeitung bis Januar 2027 möglich.
Für inhaltliche Nachfragen kontaktieren Sie bitte Madeleine Scherrer unter: madeleine.scherrer@unifr.ch
Literatur
Alaimo, S. (2000). Undomesticated Ground: Recasting Nature as Feminist Space. Cornell University Press.
Alaimo, S. (2012). Sustainable This, Sustainable That: New Materialisms, Posthumanism, and Unknown Futures. PMLA 127(3), 558–564.
Barad, K. (2007). Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Duke University Press.
Bauhardt, C. (2019a). Ökofeminismus und Queer Ecologies: feministische Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse. In B. Kortendiek, B. Riegraf & K. Sabisch (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung (S. 467–477). Springer Fachmedien.
Bauhardt, C. (2019b). Nature, Care and Gender: Feminist Dilemmas. In C. Bauhardt & W. Harcourt (Hrsg.), Feminist Political Ecology and the Economics of Care: In Search of Economic Alternatives (S. 16–35). Routledge.
Bauhardt, C. & Harcourt, W. (Hrsg.) (2019). Feminist Political Ecology and the Economics of Care: In Search of Economic Alternatives. Routledge.
Berlant, L. (2011). Cruel Optimism. Duke University Press.
Daggett, C. N. (2023). Petromaskulinität: Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Matthes & Seitz.
Federici, S. (2020). Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution (3. Aufl.). edition assemblage.
Federici, S. (2021). Die Welt wieder verzaubern: Feminismus, Marxismus & Commons (3. Aufl.). Mandelbaum.
Gaard, G. (2017). Critical Ecofeminism. Lexington Books.
Gago, V. (2021). Für eine feministische Internationale: Wie wir alles verändern. Unrast.
Grosz, E. (2005). Time Travels: Feminism, Nature, Power. Duke University Press.
Hansen, L. & Gerner, N. (2024). Ökofeminismus zwischen Theorie und Praxis: Eine Einführung. Unrast.
Haraway, D. (2000). How Like A Leaf. Routledge.
Lettow, S. & Nessel, S. (Hrsg.) (2022). Ecologies of Gender. Contemporary Nature Relations and the Nonhuman Turn. Routledge.
Merchant, C. (1994). Der Tod der Natur: Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft (2. Aufl.). Beck.
Mies, M. & Shiva, V. (1995/2016). Ökofeminismus – Die Befreiung der Frauen, der Natur und unterdrückter Völker. Eine neue Welt wird geboren (2. überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auf.). AG SPAK Bücher.
Peredo Beltrán, E. (2018). Ökofeminismus. In P. Solón (Hrsg.), Systemwandel: Alternativen zum globalen Kapitalismus (S. 120–153). Mandelbaum.
Plumwood, V. (1993). Feminism and the Mastery of Nature. Routledge.
Sandilands, C. (2001). Desiring Nature, Queering Ethics. Environmental Ethics, 23(2), 169-188.
Tronto, J. C. (1993). Moral Boundaries. A Political Argument for an Ethic of Care. Routledge.
Tsomou, M. (2022). Auf den Spuren planetarischer Feminismen: Sorge- und Regenerationsarbeit im Angesicht ökologischer Katastrophen. In H. Fitsch, I. Greusing, I. Kerner, H. Meißner & A. Oloff (Hrsg.), Der Welt eine neue Wirklichkeit geben. Feministische und queertheoretische Interventionen (S. 241‒249). transcript.






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