„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Feministische Kunst im 21. Jahrhundert ist geprägt durch eine große Vielfalt und Diversität und entzieht sich einer einheitlichen Definition. In der Bildenden Kunst, der Medien-, Installations- und Netzkunst, in den darstellenden Künsten (wie Theater, Performance, Tanz), in der Musik und Literatur behandeln queer-feministische Künstler*innen eine Bandbreite an Themen, wie z.B. Ungleichheit, Macht und Gewalt, Vorstellungen von Weiblichkeit und Identität allgemein, von Intersektionalität oder Queerness. Klassische und traditionelle ästhetische Formen und Strategien finden ebenso Einsatz wie neue oder weniger bekannte (Kunst-)Formen, Materialien und Verfahren. Feministische Kunst ist eng mit einem kritischen Anspruch verbunden, wobei Gegenstände sowie Strategien der Kritik äußerst heterogen sind: Sie reichen von so genannten Genderperformances, etwa in Form von Geschlechter-Parodie, Maskerade oder Cross-Dressing, Dekonstruktionen, Reenactments, Inszenierungen von nackten Körpern, Versammlungen/Assemblagen bis hin zu Figuren des Dritten, wie etwa Cyborgs, Mensch-Tier-Hybride oder Monster. Eingebettet sind die feministischen Arbeiten in gesellschaftliche Kontexte, in soziale und politische Auseinandersetzungen und Bewegungen, gegenwärtig z.B. in #metoo oder den Kampf um die Quote in Kunstinstitutionen wie Museen, Theatern, Film- und Medienanstalten.

Dabei setzten sich Künstlerinnen wie Hannah Höch, Lotte Laserstein oder Claude Cahun bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts kritisch mit stereotypen Bildern von Weiblichkeit und dem Bildstatus der Frau in der abendländischen Kultur auseinander und befragten binäre Geschlechternormen. Weltweit entwickelten Künstlerinnen im Zuge der zweiten Frauenbewegung der 1960er und -70er Jahre eine große Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen, die sich kritisch etwa mit dem gesellschaftlichen Status von Frauen, der Vorstellung ‚der‘ Frau als Bild und Bildern von Weiblichkeit auseinandersetzen. Der eigene Körper spielte dabei eine wesentliche Rolle, sowohl als Subjekt als auch Objekt der Wahrnehmung. In den 1980er und -90er Jahren wurden einerseits essentialistische (Weiblichkeits-)Vorstellungen sowie enge Definitionen von Frausein und Identität (‚weiß, hetero, Mittelklasse‘) vehement kritisiert, andererseits wurden verstärkt intersektionale und queere Perspektiven in die feministische Kunst eingebracht. Auf der Grundlage eines (de-) konstruktivistischen Verständnisses von Identität und Sexualität wurden stereotype Geschlechtervorstellungen in Frage gestellt und tradierte Identitätskonzeptionen verhandelt und unterlaufen.

Auch in Verbindung mit der Frage, welche Rolle historische Bezugnahmen auf Traditionen in der feministischen Kunst spielen, fragt unser Schwerpunktheft 2/2020 nach den neuesten Entwicklungen und Vorstellungen feministischer Kunst in der Gegenwart. Was macht feministische Kunst heute aus? Welche Themen und Fragen werden mit welchen ästhetischen und medialen Mitteln und mit welchen politischen Absichten verhandelt? Welchen Status und welche Wirkungen bzw. Effekte hat feministische Kunst in und auf Gesellschaft?

Mit diesem Schwerpunktheft zur Feministischen Kunst der Gegenwart laden wir Autor*innen ein, in Beiträgen Fragen wie die folgenden aufzugreifen:

  1. Welche Frauen- und Geschlechterbilder werden in zeitgenössischer feministischer Kunst dargestellt oder inszeniert? Wie verhält sich (queer-)feministische Kunst zu gesellschaftlichen Normen der Geschlechtsidentität und Sexualität? Welche diesen Normen zuwiderlaufenden Geschlechterbilder und/oder Sexualitäten und Begehrensformen werden dar- bzw. hergestellt und mit welchen ästhetischen Mitteln werden sie erzeugt? Wie beziehen sich feministische Künstler*innen zum traditionellen Kanon, bspw. zum dramatischen Repertoire in Stadt- und Staatstheatern, die oftmals eingeschränkte und stereotype Geschlechterrollen beinhalten? Wie werden diese umgearbeitet oder dekonstruiert? Welche Rolle spielt der Körper?
  2. Geschlecht ist kein monolithisches Gebilde, sondern konstituiert sich aus einer Vielzahl verschiedener Praktiken und Diskurse, in Wechselbeziehung mit anderen identitätsstiftenden Differenzierungen. In welcher Weise finden Verflechtungen von Geschlecht und anderen Differenzierungen und Markierungen wie z.B. ‚Rasse‘, Ethnie, Klasse, Alter oder Gesundheit Ausdruck in der künstlerischen Praxis? Welche Rolle spielen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Formen sozialer Ungleichheit?
  3. Feministische Theorie und Gender Studies verstehen sich auch als kritische Wissenschaft und schließen an Formen der Kritik an, wie sie z.B. Adorno, Butler oder Foucault formuliert haben. Inwiefern kann zeitgenössische feministische Kunst als kritische Praxis gesehen werden? Welches sind die Möglichkeiten von Kritik und Subversion in der künstlerischen Praxis? Was genau wird kritisiert oder als unter- bzw. verworfen kritisiert und auf welche Weise? Indem eine bestimmte Norm oder bestehende Ordnung kritisiert wird, wird sie auch in gewisser Weise reaktualisiert und bewahrt. Wie genau verhält sich die Kritik zum Kritisierten? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Subversion und Affirmation?
  4. Mit welchen ästhetischen und medientechnologischen Mitteln werden feministische Themen verhandelt? Wie werden diese im künstlerischen Prozess reflektiert? Inwiefern wird dabei auf künstlerische Traditionen oder Konventionen zurückgegriffen oder/und neue Formen der Verwendung entwickelt? Welche Rolle spielen digitale Medien und Technologien und inwiefern kann feministische Kunst kritische Öffentlichkeiten herstellen, etwa in Interaktionsprozessen oder in anderen Formen der Einbindung von Rezipierenden?
  5. Viele Arbeiten zeitgenössischer feministischer Kunst wie Installationen, Performances oder Audiowalks entstehen in einem lokalen Kontext; zugleich wird Kunst überregional produziert, global gezeigt und wahrgenommen. In welches Verhältnis treten Globalität und Lokalität, welche Rolle spielt Internationalisierung für die zeitgenössische feministische Kunst? Welche Funktionen und Wirkungen haben lokale Verortungen und globale Grenzüberschreitungen für inhaltliche und ästhetische Aspekte der feministischen Kunst?
  6. Welchen Stellenwert nehmen Bezüge zur historischen feministischen Kunst ein? Situiert sich feministische Kunst heute im Kontext von Geschichte und wenn ja, in welcher Weise? Welche Archive werden verwendet bzw. aufgebaut? Werden neue Formen der Archivierung und/oder Historisierung entworfen? Welche Bedeutung haben Reenactments bzw. Reperformances? Welches Verständnis von Zeit (und auch von Raum) wird damit entwickelt?
  7. Viele Künstler*innen arbeiten heute in temporären oder dauerhaften Kollektiven. Wie genau sehen diese kollektiven Arbeitsprozesse aus und welche Absichten werden mit ihnen verbunden, welche Resonanzen lassen sich zeigen

Aufsätze (bis 40.000 Zeichen) und Diskussionsbeiträge (bis 25.000 Zeichen, incl. Leerzeichen) werden nach einem double blind peer-review-Verfahren begutachtet. Erwünscht sind auch Tagungsberichte sowie Rezensionen oder Sammelrezensionen zu Veröffentlichungen, die sich vorzugsweise, aber nicht ausschließlich, mit dem Schwerpunkt dieses Heftes beschäftigen.

Wir laden herzlich ein, bis zum 01. August 2019 ein Abstract von bis zu 2.000 Zeichen bei den Herausgeberinnen des Schwerpunktheftes, PD Dr. Miriam Dreysse (Universität Hildesheim, miriamdreysse@googlemail.com), Jun.-Prof. Dr. Jenny Schrödl (Freie Universität Berlin, j.schroedl@fu-berlin.de) und Prof. Dr. Tanja Thomas (Universität Tübingen, tanja.thomas@uni-tuebingen.de) sowie bei manuskripte@feministische-studien.de einzureichen.