Schon wieder ereilt es mich beim Frühstück. Beinahe bleiben mir Apfel und Ei im Halse stecken als ich höre, was da an News aus dem Radio kommt: Apple und Facebook bieten ihren jüngeren Mitarbeiterinnen an, angeblich auf deren Nachfrage hin, sich Eizellen entnehmen und sie einfrieren zu lassen, damit sie sich ganz der Karriere widmen können. Kinder könnten sie dank der neuen Reproduktionstechnologien später bekommen, wenn es zeitlich und finanziell besser passt. Bis zu 20000 Dollar pro Frau wollen die IT-Firmen dafür hinblättern. Entgeistert kommentiert die Moderatorin Eva Schramm auf NDR Kultur diesen neuesten Beitrag zur Frauenförderung: „Social freezing für’n Apple und’n Ei“. Schramm gerät mit dieser ironisch gemeinten Formulierung allerdings ungewollt selbst auf Glatteis, legt die Redewendung von „Apfel und Ei“ doch nahe, dass die Bereitschaft zum Frosten, wäre sie denn besser entgolten, eine Option im Dienste von Gleichstellung und Emanzipation sein könnte.
Der Vorschlag aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten zur zeitlichen Entzerrung der „rush hour of life“ („Bis später, Baby“, HAZ 17.10.14) macht zunächst fassungslos. Bei näherem Nachdenken erscheint mir das Angebot des „Social Freezing“ von Firmen für Frauen aber durchaus rational, genauer gesagt sogar hyperrational. Es ist die Manifestation eines trotz aller Krisen und Kritik unerschütterten Machbarkeitsglaubens, eines instrumentellen Denkens, das keinerlei reflektierende Distanz mehr aufbringt zu den Kältewüsten, aus denen es stammt und die es ausdehnt. In dem Satz der Sprecherin einer kalifornischen Social-Freezing-Firma zeigt sich, dass die Rede vom sozialen Einfrieren wörtlich zu nehmen ist: „Das Angebot kann Frauen helfen, produktivere Menschen zu werden.“ (DER SPIEGEL 43/2014). Bei der Verwandlung von Frauen in produktivere Menschen helfen coole Arbeitgeber, „Caring Companies“, die mit dieser wärmenden Selbstbezeichnung der Care-Debatte eine bemerkenswerte Facette hinzufügen.
Die Frauen- und Familienförderer der fürsorglichen Firmen denken praktisch, positiv und grundsätzlich BIG. Leitfaden und Legitimationsformel ist das Prinzip des Win-Win-Win etcetera. Im vorliegenden Fall läßt sich dessen innere Folgerichtigkeit so umreissen: Die Frauen haben etwas davon, wenn sie sich zunächst auf Beruf und Karriere konzentrieren können, eventuell sind auch die Paare zufriedener, weil sie noch ein bisschen länger die Zweisamkeit genießen und sparen können, bevor sie Eltern werden; das sogenannte „Schwangerschaftsrisiko“, der zeitweise Ausfall gut ausgebildeter Mitarbeiterinnen, wird für die Unternehmen kalkulierbarer und über Vereinbarungen manageable gemacht, zudem scheint das Einfrieren von Eizellen auf Dauer kostengünstiger als andere Programme zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und last but not least ist Nachwuchs aus in jüngeren Jahren eingefrorenen Eizellen biologisch potentiell besser und fitter als Kinder, die gegebenenfalls in Echtzeit aus Eiern älterer Frauen erzeugt und von ihnen ausgetragen werden. So profitieren alle: die Frauen, die Familien, die Firmen, der Staat und die Gesellschaft.
Das deutsche Medienecho auf Frauenförderung á la Apple und Facebook ist bislang, so weit ich sehe, überwiegend kritisch. Von „unsittlichen“ oder „unmoralischen“ Angeboten ist in Artikeln zum Thema die Rede. Vermehrt sind inzwischen aber auch hierzulande Stimmen zu hören, die in der Vitrifikation, die zunächst nur im engeren Zusammenhang medizinischer Begründungen vertreten wurde, eine grundsätzlich bedenkens- und sogar begrüßenswerte Chance für Frauen sehen, ihre Dispositionräume zu erweitern. Laut einer ZEIT-Umfrage gibt es dabei eine klare Differenz nach Alter: Unter den über 60jährigen, also meiner Generation, sind weniger als 20 Prozent dafür, unter den unter 30jährigen sieht die Mehrheit das Social Freezing positiv. Ob bewußt oder nicht: Diese Stimmen reihen sich ein in einen traditionsreichen Chor, in dem sich schon in den 60er und 70er Jahren liberale, radikale und sozialistische Feministinnen zusammenfanden. Für viele von ihnen galt die Nutzung aller reproduktionstechnologischer Innovationen als das Mittel, die Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit in die eigenen Hände zu nehmen und/oder, wie es Shulamith Firestone damals formulierte, die „Tyrannei der biologischen Familie“ zu brechen.
Wie Gesellschaftskritik sich immer wieder in Widersprüche verstrickt, zum Beispiel das Gleichheits-, Differenz- und Dekonstruktions-Dilemma, treibt auch politisches Handeln im Streben nach Freiheit und Gleichheit paradoxe, nicht-intendierte Folgen hervor. Diese Probleme sind im grundlagenkritischen Feminismus intensiv reflektiert worden: die Verkehrung von Praxen, die auf Befreiung zielen, in neue Zwänge und Normierungen; die Janusköpfigkeit von Recht und Rechten; die Verschwisterung von Herrschaftsintensivierung und eigener Entscheidung; schließlich das Umschlagen partikularer Rationalitäten in concreto in gesamtgesellschaftliche Irrationalität. Der Fall der Frauenförderung durch soziales Einfrieren deutet auf solche Dialektiken in einer aufschlußreichen biopolitischen Zuspitzung.
Mir erscheint die Neuigkeit aus den USA in ihrer erschreckenden Kombination von Hybris und Pragmatismus wie ein Spiegel, der die Kehrseiten auch mancher der früheren feministischen Ideen deutlicher erkennen lässt, gerade weil sie heute wirklich geworden sind. Im Zeichen der Eröffnung neuer Möglichkeiten für biographische Flexibilität, wird nun die Fähigkeit, Kinder zu gebären, Gegenstand der Kalküle nicht mehr nur der potentiellen Eltern, sondern auch weiterer wohlmeinender Beteiligter. Unter gesellschaftlich-ökonomischen Bedingungen, die „Wahlfreiheit“ immer schon unterlaufen bzw. pervertiert haben, wenn sie ausgeübt werden muss, wird das Bedürfnis nach individuellen Spielräumen passfähig gemacht für erweiterte ökonomische Verwertungsinteressen. Ist die Idee erst einmal in der Welt, müssen Frauen selbst entscheiden, ob sie mit Hilfe des sozialen Einfrierens „produktivere Menschen“ werden wollen oder nicht. Wenn nicht, bleibt das auf Dauer für sie nicht folgenlos, weil schleichend bereits die Kriterien dessen verändert sind, was im Geiste des Win-Winnens die richtige Wahl ist.
Das voluntaristisch und individualistisch verengte Reden von der Freiheit zu rational choices überlagert die Erinnerung an ein anderes feministisches Verständnis von Freiheit, das einmal mit den Begriffen von Emanzipation und Solidarität assoziiert war. In diesem Verständnis ging es darum, die gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse, also den ganzen Zusammenhang von Arbeit, Sexualität und Generativität in der Gesellschaft, nach Maßstäben menschlicher Gleichwertigkeit einzurichten und zugleich für Bedingungen einzutreten, in denen Menschen ohne Angst verschieden sein (Adorno) könnten. Wie und ob das überhaupt zu verwirklichen wäre, wird immer noch – und zur Zeit wieder verstärkt – diskutiert. Aber ganz sicher ist es nicht zu erreichen auf Wegen wie dem, der hier zur Debatte steht: mit „Frösten der Freiheit“ (Gisela von Wysocki) war anderes gemeint als Social Freezing. Um die Differenz weiter unkenntlich zu machen, sind inzwischen bereits die Sprachregulierer am Werk mit Vorschlägen, das wenig anheimelnde Wort vom Frosten durch etwas zu ersetzen, das in Zeiten der Selbstoptimierung rhetorisch anschlußfähiger ist. Zum Beispiel „Eizellenvorsorge“, so der Vorschlag des Reproduktionsmediziner Nicolas Zech am 26.10.14 bei Günter Jauch.
Social Freezing ist ein Beispiel dafür, wie das jeweils technologisch Machbare, und sei es noch so surreal, von Interessengruppen in Hegemoniekämpfen propagiert wird, in gesellschaftliche Deutungsrepertoires einsickert, zunächst vielleicht Einzelne betört, die davon in besonderer Weise profitieren, sich dann allmählich ausbreitet, absetzt, veralltäglicht und irgendwann zu Möglichkeiten verdichten kann, denen Plausibilität und die zwanglose Zwangsläufigkeit von Choices zukommt. Dann wird es auch praktisch zu einer Option, die in verschiedenen Politikfeldern aufgegriffen werden kann, sogar in der Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik. Ist es erst einmal so weit, dann kann man, frei nach Ernst Jandl, USA und Europa, lechts und rinks und fenimistisch velwechsern.
Axeli Knapp
Super Artikel, auf den Punkt. Schade, dass es eine Nischenseite hier ist und leider durch den Namen schon zu viele (Männer und Frauen) abschreckt. Dass man ohne Angst anders sein darf ist das große credo, das Ideal. Hab es noch nirgendwo anders so klar formuliert gelesen in diesem Zusammenhang. Danke!