„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf


Um Judith Butlers Denken des Politischen zu verstehen, ist das Konzept der Übersetzung von zentraler Bedeutung. Es gewinnt jüngst sogar für ihre staatstheoretischen Überlegungen Relevanz; hierbei wird manchmal der Begriff ‚kulturelle Übersetzung’ verwendet. Das Besondere an Butlers Konzept ist, dass Übersetzungsprozesse nicht unbedingt von hegemonialer Seite initiiert werden, sondern sich als Selbstermächtigung marginalisierter bzw., radikaler noch, nicht-intelligibler Positionen vollziehen. Genauer betrachtet, lassen sich zwei verschiedene Prozesse der Übersetzung unterscheiden: Zum einen solche, die auf eine Heterogenität des Sozialen zielen und marginalisierten, z.B. heteronormativ entwerteten Positionen, die Möglichkeit verschaffen, die je gültige Auffassung anerkannter Werte anzufechten und in eine fortwährende Auseinandersetzung zu treiben. Zum anderen Übersetzungen, die Wahrnehmung für Alterität schaffen, indem sie eine Dezentrierung hegemonialer Normen betreiben und gegen die normative Gewalt arbeiten, mit der Menschen aus der sozialen Verstehbarkeit oder dem Status des Menschlichen herausgeschrieben werden.

Bereits in “Contingency, Hegemony, Universality“ (2000; dt. 2013) schlägt Butler vor, Übersetzung bzw. Übersetzbarkeit als entscheidend für ein radikaldemokratisches Politisches anzusehen. Sie verwendet den Begriff um zu betonen, dass unvereinbare Positionen in Austausch oder Auseinandersetzung miteinander treten. Prozesse kultureller Übersetzung sind in diesen frühen hegemonietheoretischen Überlegungen das, was Partikularitäten in ihrer Partikularität gesellschaftliche Anerkennung verleiht. Auf diese Weise kann das Universelle als Norm in Frage gestellt werden, insbesondere wenn Gruppen an den Übersetzungsprozessen beteiligt sind, die nicht als politische Subjekte etabliert sind, sondern „who live as the unspeakable and unspoken“ (ebd., 178).

Mit dem Begriff richtet sich Butler gegen das Universalitätsverständnis der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus, für den Politik darin besteht, dass es einem spezifischen Partikularen gelingt, zum Universellen zu werden. Demgegenüber zielt Butler darauf ab, Raum für widerstreitende Verständnisse des Universellen zu schaffen: „adjudicating and composing a movement of competing and overlapping universalism“ (ebd. 169). Sie betont, dass dies keineswegs der Universalisierung widersprechen würde, die sich in politischen Hegemoniebildungsprozessen vollziehe und allererst stifte, was, wie phantasmatisch auch immer, als Gemeinwesen wahrgenommen werde. Vielmehr könnten, wenn Universalität immer das Produkt einer Universalisierung sei, Prozesse der Übersetzung als Voraussetzung jeglicher Universalität gelten.

    „Thus, the question […] will not be how to relate a particular to a universal, where the universal is figured as anterior to the particular […]. It may be, rather, one of establishing practices of translation between competing notions of universality which, despite any apparent logical incompatibility, may nevertheless belong to an overlapping set of social and political aims.“ (ebd. 167)

Universalisierung qua Übersetzung ist jedoch weniger auf gemeinsame Ziele und Beurteilungskriterien ausgerichtet, als darauf, eine Dynamik in Gang zu setzen, die es erlaubt die konkurrierenden Universellen von möglichst unterschiedlichen Kontexten aus in Frage zu stellen. Ob dies in Form von Teilhabeforderungen, von kritischen Debatten oder verkörperten sozialen Praxen stattfindet, und ob diese entlang übergreifender Kriterien beurteilt werden können, muss eben gerade offen bleiben. Klar ist aus Butlers Perspektive, dass es sich hierbei um Machtauseinandersetzungen handelt, die unterschiedlich verfasst sind, je nachdem, ob von einer Position der Diskriminierung oder der Nicht-Intelligibilität aus agiert wird. Was bedeutet es, die unterschiedlichen Bedingungen der jeweiligen Auseinandersetzungen in Betracht zu ziehen? Sie erläutert dies in „Who Sings the Nation State?“ (2007; dt. 2011) überzeugend entlang von Protesten illegalisierter Migrant_innen in Kalifornien, die sich herausnehmen, die US-amerikanische Hymne auf Spanisch zu singen. Butler formuliert explizit, dass Übersetzung dann radikal wird, wenn sie Politik und das Politische für diejenigen öffnet, die aus der Intelligibilität ausgeschlossen sind, gleichwohl aber sozialen Raum bewohnen:

    „…the translation will have to be one in which the terms in question are not simply redescribed by a dominant discourse. For the translation to be in the service of the struggle for hegemony, the dominant discourse will have to alter by virtue of admitting the ‚foreign’ language into its lexicon.“ (ebd., 168).

Wenn Butler Übersetzung ins Spiel bringt, um normative Gewalt zu beantworten, erfordert dies eine Bereitschaft zum Handeln jenseits der Autorisierung, zum Verzicht auf die Verabsolutierung des eigenen Standpunkts und das Schaffen von Kontexten, in denen Kontroversen ausgetragen werden können. Interessant ist, dass Butler diese Gedanken in „Parting Ways“ (2012; dt. 2013) staatstheoretisch ausdeutet. Hier zeigt sich, dass Übersetzung für sie nicht allein ein symbolisch-kultureller, sondern zugleich ein sozio-materieller Prozess ist. Der Staat, der sich, so Butlers Vision in „Parting Ways“, den Herausforderung diasporischen Zusammenlebens (diasporic cohabitation) stellt, ist ein Staat, der auf dem Prinzip kultureller Übersetzung statt auf Prinzipien der Assimilation oder Anerkennung präformierter (sozialer/kultureller) Partikularitäten beruht.

Diese Übersetzungsbewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Raum für zivilgesellschaftliche Begegnungen mit und Beziehungen zu Anderen in ihrer irreduziblen Andersheit (Alterität) schaffen. Gemeint sind hiermit weder Übersetzungen, die in lediglich eine Richtung erfolgen, noch solche zwischen gleichwertig positionierten kulturellen Texten (2012, 12). Vielmehr geht es Butler dezidiert um Übersetzungen von unterschiedlichen Ausgangstexten in verschiedene Richtungen und unter asymmetrischen Bedingungen. Wichtig ist, dass das Verhältnis zur Alterität zwar einerseits als individualisierte ethische Beziehung, zugleich aber als gemeinschaftliche Herausforderung dargeboten wird. Letztlich, so Butlers radikale Argumentation, besteht die gesellschaftspolitischen Aufgabe darin, ein Staatsgefüge zu entwickeln, das nicht nur eine egalitäre Heterogenität ermöglicht, sondern auch Alterität anerkennt.


Butler, Judith / Laclau, Ernesto / Žižek, Slavoj (2000): Contingency, Hegemony, Universality: Contemporary Dialogues on the Left, London; dt. (2013): Kontingenz, Hegemonie, Universaliät: Aktuelle Dialoge zur Linken, Wien: Turia+Kant.
Butler, Judith / Spivak, Gayatri Chakravorty (2007): Who Sings the Nation-State? Language, Politics, Belonging; London; dt. (2011): Sprache, Politik, Zugehörigkeit; Zürich.
Butler, Judith (2012): Parting Ways: Jewishness and the Critique of Zionism; New York; dt. (2013): Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus; Frankfurt am Main.

Basierend auf Ausschnitten aus: Von gouvernementaler Hegemonie zur postsouveränen Staatlichkeit, in: Distelhorst, Lars (2016): Staat, Politik, Ethik. Zum Staatsverständnis von Judith Butler, Baden-Baden: Nomos (im Erscheinen).