Im August beginnt das neue Kindertagesstättenjahr – mit alten Geschlechterrollen: Nur 32,3 % der null bis zweijährigen Kinder wurden 2014 in die institutionalisierte Betreuung gegeben. Während im früheren Bundesgebiet 27,24% der Kleinkinder auf diese Weise versorgt werden, ist die Zahl mit 52% in den „neuen“ Bundesländern einschließlich Berlins deutlich höher (Statistisches Bundesamt 2014). Die zu Hause versorgten Kinder werden überwiegend von ihren Müttern betreut, wie die jüngste Statistik zum Betreuungsgeld zeigt: 94,6% der Betreuungsgeldbeziehenden im ersten Quartal 2015 waren Frauen (Statistisches Bundesamt 2015, 5).
Die institutionalisierte Betreuung wird von der derzeit dominierenden Politik zu wenig gestützt: Die Investitionen in den Ausbau von KiTa-Plätzen sind im Hinblick auf die Nachfrage weiterhin zu gering und politische Maßnahmen wie das Betreuungsgeld sind Strategien, Kinder aus der institutionalisierten Betreuung herauszuhalten. Zwar ist das Betreuungsgeld Ende Juli vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers „gekippt“ worden (siehe Bundesverfassungsgericht 2015), damit ist es aber politisch nicht in allen Bundesländern vom Tisch.
Vielerorts findet ein Kampf um oder eine Jagd auf die wenigen vorhandenen Plätze für unter Dreijährige in Kindertagesstätten statt. Eltern preisen ihre Fähigkeiten an, die sie der KiTa zur Verfügung stellen möchten: handwerkliches Geschick, grandiose Kochkünste oder Vereinserfahrenheit bei Elternvereinen. Denn diese Plätze sind, neben der Betreuung durch Tagesmütter, vielerorts die einzig mögliche Alternative zu den wenigen städtischen KiTas. Kontakte spielen oft die größte Rolle, um ein Kind bei einer Institution erfolgreich anmelden zu können. Manche Eltern planen sogar die Schwangerschaft zeitlich im Hinblick auf das KiTa-Jahr, um eine Geburt mitten im laufenden KiTa-Jahr zu vermeiden und einen Rechtsanspruch mit Beginn des neuen KiTa-Jahres für das dann einjährige Kind geltend machen zu können.
Das derzeitige institutionalisierte Betreuungssystem bietet zu wenige Anreize, traditionelle Geschlechterrollen in heterosexuellen Beziehungen zu verändern. So bleiben viele Mütter, wenn es den Familien finanziell möglich ist, länger zu Hause, anstatt (wieder) in die Erwerbsarbeit zu gehen, zumal es, wie bekannt, weiterhin durch den Gender Pay Gap oftmals die Väter sind, die mit einem höheren Gehalt die Familie (besser) finanzieren können. Bei anderen Partnerschaften besteht der finanzielle Druck, dass beide Elternteile einer Erwerbsarbeit nachkommen – was aber, wenn dann kein Betreuungspatz gefunden wird? Oder dieser für (nur) fünf bis sechs Stunden am Tag besteht – dann muss es finanziell und am Arbeitsplatz möglich sein, die Stundenanzahl der Erwerbsarbeit zu reduzieren.
Doch nicht nur wird die Situation der Eltern, die ihre Kinder unter drei Jahren in Betreuung geben wollen, politisch wenig beachtet, auch die Arbeit der Erwerbstätigen in der institutionalisierten Kinderbetreuung wird zu wenig anerkannt: Das Erwerbseinkommen von Erzieher_innen ist mit durchschnittlich ca. 2500 Euro bei einer Vollzeitstelle eher gering, Frauen verdienen auch hier gegenüber ihren wenigen männlichen Kollegen deutlich weniger (Stoll et al. 2014).
Familienpolitik wird bei der Betreuung kleiner Kinder Geschlechterpolitik, denn es sind die Frauen, die durch die fehlenden KiTa-Plätze und Anreize wie das Betreuungsgeld gedrängt werden, zu Hause zu bleiben. Dies liegt nicht nur in traditionellen Geschlechterrollen begründet, sondern auch in strukturellen Ungleichheiten wie z.B. dem Gender Pay Gap. Gleichzeitig ist die schlechte Bezahlung der vielen Erzieherinnen und wenigen Erzieher auch ein geschlechterpolitisches Problem, da es (auch hier) traditionelle Frauenberufe sind, die wenig anerkannt und schlecht bezahlt werden. Auf ihr geringes Einkommen machten Erzieher_innen im Mai und Juni diesen Jahres mit Streiks aufmerksam und forderten eine angemessenere Bezahlung (siehe auch #pflegestreik).
Wie erleichtert ist die Figur Phil Connors – gespielt von Bill Murray in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – an dem Tag, als er aufwacht und sich der immer wieder erlebte Tag nicht ein weiteres Mal wiederholt, sondern die Zeit voranschreitet und sich Dinge ändern. Im Hinblick auf die kommenden KiTa-Jahre wäre genau dies wünschenswert – eine Veränderung der Betreuungssituation, in der endlich genügend Geld für den Ausbau von KiTa-Plätzen zur Verfügung gestellt wird, in der Konzepte wie das Betreuungsgeld in allen Bundesländern der Vergangenheit angehören und dafür endlich Maßnahmen ergriffen werden, die Anreize für das Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen darstellen. Mit einem gut ausgebauten Betreuungssystem wären wir nicht automatisch bei einer geschlechtergerechten Gesellschaft angelangt, aber es ist eine Grundvoraussetzung, will man beiden Elternteilen mehr Gestaltungsräume ermöglichen.
Quellen:
Bundesverfassungsgericht (2015): Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeld. Pressemitteilung Nr. 57/2015 vom 21. Juli 2015, Abrufbar unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/bvg15-057.html, zuletzt abgerufen am 27. Juli 2015.
Statistisches Bundesamt (2015): Öffentliche Sozialleistungen. Statistik zum Betreuungsgeld, Leistungsbezüge, 1. Vierteljahr 2015, Wiesbaden. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/Elterngeld/BetreuungsgeldLeistungsbezuegeVj.html;jsessionid=39E841AB4DFC4035D1EB831DBF811004.cae3, zuletzt abgerufen am 22. Juni 2015.
Statistisches Bundesamt (2014): Betreuungsquote. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales/Sozialleistungen/Kindertagesbetreuung/Tabellen/Tabellen_Betreuungsquote.html, zuletzt abgerufen am 22. Juni 2015
Stoll, Evelyn / Bispinck, Reinhard / Dribbusch, Heiner / Öz, Fikret (2014): Was verdienen Erzieherinnen und Erzieher? Eine Analyse von Einkommensdaten auf Basis der WSI. Abrufbar unter: http://www.lohnspiegel.de/dateien/erzieher-innen, zuletzt abgerufen am 22. Juni 2015.
Neueste Kommentare