1. TV als Nostalgie-Medium
Es hat mich sehr gefreut, dass das Medium Fernsehen auf diesem Blog in den sehr lesenswerten Beiträgen von Maureen Maisha Eggers zu Shonda Rhimes’ Serien Scandal (2012-) und How to Get Away with Murder (2014-) und Anja Michaelsen zu transnationalen Adoptionen in Modern Family (2009-) schon so breite Beachtung gefunden hat – wobei mein Shondaland-Favorit seit nun rund 10 Jahren nach wie vor das hemmungslos kitschige Grey’s Anatomy (2005-) ist (aber ich hatte schon immer ein Faible für Krankenhaus-Serien). Auch ich will mich heute dem TV widmen und dafür zunächst einige allgemeinere Überlegungen zu Quality TV und Nostalgie anführen, um dann im zweiten Teil die neugestartete queere Serie Transparent zu besprechen. Damit ist der Beitrag etwas länger als üblich geraten, aber genau um das Potential der Länge soll es heute passender Weise auch gehen.
Gerade Serien, die über lange Laufzeiten Figuren und deren Beziehungen erzählen können, finde ich nämlich besonders anziehend, denn diese Dimension der ausgedehnten Zeitlichkeit unterscheidet das Medium Fernsehen so radikal vom Kino. Daher stehe ich dem Hype um das sogenannte Quality TV als Serienup-Fan durchaus kritisch gegenüber. Gewinnt das Fernsehen, wenn es sich immer mehr an Erzählkonventionen des Kinos angleicht? Um diesen Trend zu beschreiben, wurde der Begriff ‚Quality TV‘ ursprünglich in den 1980er Jahren eingeführt. In dieser Zeit kam es zu einem massiven Anstieg von Kabelsendern. Die LOP-Strategie in der Programmzusammenstellung (least objectionable programming), also auf die größtmögliche Schnittmenge bei den Zuschauenden zu setzen und somit Anzeigenkunden nicht zu verärgern, wurde abgelöst von einem Fokus auf demografisch kleinere Nischen. Präziser definierte Zielgruppen stellten sich nun auch im Marketing als effektiver dar und so wird diese Wende hin zum Nischenprodukt auch manchmal als das Einläuten eines „age of post-television“ oder „post-mass-communication“ (Reeves/Rogers/Epstein in McCabe/Akass 2007, 84) bezeichnet (vgl. auch Nelson in McCabe/Akass 2007, 39).1)McCabe, Janet Elizabeth and Kim Akass, eds. Quality TV: Contemporary American Television and Beyond. London: I.B. Tauris, 2007. Im Zeitalter von DVD-Box, YouTube und Streaming-Diensten sind wir sogar noch unabhängiger von Sendeplätzen und Programmplanung. TV wird mehr und mehr als anspruchsvolles Erzählmedium etabliert, allerdings auch für immer kleinere Zielgruppen.
Was nun aber bedeutet der Begriff Quality TV eigentlich in diesem Kontext, der durch das ihm eigene Werturteil ‚Qualität‘ zunächst etwas irreführend wirken kann? TV-Studies-Theoretiker Robert Thompson erklärt: „Though it may have originally been used just to describe unusually good shows, the ‘quality’ in ‘quality TV’ has come to refer more to a generic style than to an aesthetic judgment“ (R. Thompson 1997, 13).2)Thompson, Robert J. Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER. Syracuse: Syracuse University Press, 1997.
Quality TV meint also in erster Linie eine Neudefinition von Stil und hohem künstlerischen Wert, die ihren Ausdruck vor allem in Produktionen finden, die sich, wie eingangs erwähnt, ästhetisch dem Kino annähern: in High-Definition-Auflösung, Surround Sound, Kameraführung (mehrere bewegliche Kameras), elaborierten Sets und verstärkt auch Außenaufnahmen sowie ambitionierteren Schauspielleistungen, die Fernsehen längst auch für arrivierte Hollywood-Regisseur_innen und -Schauspieler_innen attraktiv machen und über stark gestiegene Budgets ermöglicht werden. In Konzeptbestimmungen zu Quality TV werden Verschiebungen im Inhalt – nicht mehr LOP, sondern komplexe Geschichten und kontroverse Inhalte – und narrative Komplexität angeführt.
Inzwischen lässt sich das Alleinstellungsmerkmal ‚Qualität‘ im TV aber nicht mehr so eindeutig nur dem ‚Kinohaften‘ zuordnen: Es kommt eher zu Hybridisierungen von Genres und Erzählkonventionen, die über etablierte TV-Genres wie Soap Opera, Procedural (Krimi/Polizeiserie), Sitcom und Drama hinausgehen bzw. diese miteinander verweben, was ich die an sich spannendere Entwicklung finde und wofür beispielhaft Twin Peaks (1990-1991), eine der meistgepriesenen hybriden TV Shows, steht. Das klassische episodische Erzählen wird dabei mit den neuartigen entgrenzten seriellen Erzählstrukturen, die typisch für Quality TV sind, verbunden.
Beim episodischen Erzählen folgte zunächst jede Folge der immer gleichen Logik – ich schaue mir am immer selben Sendeplatz Love Boat (1977-1986) oder Lottery! (1983-1984) an, bei denen in jeder Folge narrativ dasselbe passiert: Jemand findet während einer Kreuzfahrt sein Liebesglück oder wird Lottomillionär. Das serielle Erzählen bricht dies auf: Komplexe Erzählbögen, die sich über eine ganze Staffel und darüber hinaus erstrecken können, entstehen, und machen sich die Laufzeiten von Serien neu zunutze. Gutes Fernsehen ist also nicht einfach Kino für zu Hause. Serielles und episodisches Erzählen stehen im besten Fall in einem konstitutiven Wechselverhältnis. TV-Serien wie Six Feet Under (2001-2005) und True Blood (2008-2014) benutzen Erzählstrategien, die das serielle und das episodische Erzählen stark verknüpfen. Obwohl sie typisch für das Quality TV lange – auch staffelübergreifende – Erzählstränge haben, hat jede Folge in sich doch eine stringente (repetitive) Struktur: der Todesfall in Six Feet Under oder der Cliffhanger in True Blood (sowohl am Ende der Episoden als auch der Staffeln).
Auch in Bezug auf Charaktere gibt es im TV ein Bedürfnis nach Repetition und Sicherheit: Ich lasse diese Leute schließlich wöchentlich ‚in mein Heim‘ – oder, wie beim Binge-Watching ganzer Staffeln oder Serien am Stück, ich verlasse vermeintlich ein Wochenende das Haus nicht und bleibe lieber mit meinen Serienheld_innen auf der Couch. Zudem begegnen wir den Protagonist_innen nicht nur einmal in einem externen Raum wie bei einem Kinofilm. Daher freuen wir uns auch über die immer komplexeren Charakterzeichnungen im psychologischen Quality TV, das Tiefenschärfe zeigt, die über Soap-Narrative hinausgeht. Besonders wichtig erscheint mir in Bezug auf Figurenzeichnung die erwähnte Dauer, in der uns Serien begleiten können. Und wer wie ich Emergency Room (1994-2009) 15 Jahre geschaut hat (ich erwähnte ja eingangs meine Schwäche für Krankenhaus-Serien), weiß, was ich meine. Mit keinem anderen Medium altern wir so intim wie mit dem Fernsehen. Das spielt das fulminante Finale von Six Feet Under zum Beispiel meisterhaft aus: Das ganze (banale) Leben rauscht zu Sias Song „Breathe Me“ an uns vorbei.
Lange Laufzeiten ermöglichen es, das echte Altern der Darsteller_innen Jahr für Jahr mitzuerleben oder deren jüngeres Selbst in Rückschauen einzusetzen (man könnte argumentieren, dass sich der vielgelobte Langzeit-Spielfilm Boyhood (2014) von Richard Linklater hier genau umgekehrt das genuin Fernsehhafte für das Kino aneignet). Das funktioniert natürlich besonders gut, wenn wir Kinder und Jugendliche als Protagonist_innen haben. Ich habe jüngst die ‚klassischen‘ US-amerikanischen Familien-TV-Serien The Cosby Show (1984-1992) und Roseanne (1988-1997) erneut geschaut. Sie führen schon im Vorspann die jedes Jahr mit den Zuschauenden gealterten Kinder dieser Familien vor. Das nostalgische Rückbesinnen auf diese TV-Familien hat natürlich auch mit dem Ort des TVs zu tun. Der Fernseher wird klassischer Weise im Zentrum des ‚familiären Wohnzimmers‘ imaginiert und in den Serien selbst so in Szene gesetzt wie auch bei den Conners und Huxtables. Interessant fand ich bei der erneuten Gegenüberstellung der zwei Serien, wie sehr mir die Cosby Show aus der Zeit gefallen scheint und Roseanne eine geradezu queer anarchische Dynamik zu entwickeln vermag. Das Weiße weibliche Arbeiterklasse-Familienoberhaupt (gespielt von Roseanne Barr) der wiederholt in Geldnot steckenden Conners stellt sich selbst und ihre Normvorstellungen im Laufe der Serie (narrativ durchaus experimentell) immer wieder radikal infrage. Dies steht im krassen Kontrast zum wohlsituierten, immer um seinen (konservativen) Erziehungsauftrag bemühten afroamerikanischen Patriarchen Dr. Heathcliff Huxtable, dessen Darsteller, Bill Cosby, jüngst durch lauter gewordene Vergewaltigungsvorwürfe in die Negativschlagzeilen geraten ist.
Nach dieser (nostalgischen) Rückschau stellt sich für mich aber heute abschließend die Frage, wohin sich TV-Erzählkonventionen und Fernseh-Familien weiter entwickeln werden. Es sind zurzeit vor allem die Online-Portale wie Netflix mit (queeren) Hits wie Orange is the New Black (2013-) und Amazon Prime, die das inzwischen etablierte Quality TV neu herausfordern und damit komme ich zu einem kurzen Ausblick auf die letztes Jahr erfolgreich in der ersten Staffel angelaufene Amazon-Serie Transparent (mit Spoiler-Alert ab hier).
2. Transparent: Eine ‚junge‘ Serie über das (queere) Älterwerden
Nicht-heteronormative Lebensentwürfe haben bekanntlich, wie am Beispiel der Serien Queer as Folk (UK 1999-2000, USA 2000-2005) und The L Word (2004-2009) vielerorts kritisch diskutiert, bereits Eingang in das noch immer boomende Serienuniversum gefunden. Umso wichtiger, dass nun auch (endlich) vermehrt Transcharaktere zentral in TV-Serien in Erscheinung treten, die nicht dokumentarisch funktionieren (so auch in Orange is the New Black).3)Die Serie Hit & Miss (2012) porträtiert ebenfalls zentral eine Transfrau, die von Chloë Sevigny verkörperte Auftragskillerin Mia. Es ist unklar, ob die Serie von Anfang an als geschlossenes Drama für nur eine Staffel angelegt war oder aber abgesetzt wurde. Wie der Titel Transparent nahelegt, ist das Familienleben in Zeiten queerer bzw. trans*-Elternschaft und Patchwork als neuer (zumindest in Bezug auf Patchwork auch statistischer) Norm für viele nicht mehr so einfach durchschaubar, und insbesondere die Transition im fortgeschrittenen Alter ist ein bewegendes Thema.
In Transparent hadert die pensionierte Universitätsprofessor_in Maura Pfefferman damit, sich ihren drei erwachsenen Kindern Ali (Gaby Hoffmann), Sarah (Amy Landecker) und Josh (Jay Duplass) gegenüber als trans* zu outen. Maura-Darsteller Jeffrey Tambor wurde für das Portrait breit gelobt und für die Rolle entsprechend 2014 als bester Darsteller sowie die gesamte Serie mit dem Golden Globe für die beste TV-Serie (Comedy) ausgezeichnet.
Was mich an Transparent fasziniert, ist die Gegenüberstellung von Zeitebenen: Zentral sind dabei die Flashbacks auf das Jahr 1994. Wir sehen die Cross-Dresser-Community der 1990er, in der viele, wie zu diesem Zeitpunkt Maura selbst noch als Mort, heterosexuell lebende Männer (zum geringeren Teil in Begleitung ihrer Ehefrauen) auf jährlichen Treffen im Sommer Camp ihre Weiblichkeit zeitlich und örtlich strikt begrenzt ausleben. Das Auftauchen von Hormonen in dieser Szene ist dabei zu diesem Zeitpunkt ein klares Zeichen des Grenzüberschritts in eine andere Welt, den Maura zu diesem Zeitpunkt nicht wagt.
Man fragt sich mit Maura in der Gegenwart immer wieder, ob sie etwas verpasst hat, ob es eigentlich ‚zu spät‘ ist für so einen radikalen Neuanfang. Aber auch die Kinder scheinen nostalgisch einer anderen Zeit hinterher zu trauern: Die 1990er werden dabei, wie im Vorspann, in klar auf queere Nostalgie setzender Home-Video-Ästhetik inszeniert. Das Leben erscheint irgendwie einfacher ohne Internet und Smartphones, wie in den Alibi-Anrufen an die nichtsahnenden Ehefrauen daheim von der Telefonzelle im Drag-Sommer-Camp.
Für den Sohn Josh ist Musik zentral: Er führt bezeichnender Weise kein Internet-Startup o.ä., sondern kehrt als Hipster-Musikproduzent immer wieder zu den 1970er LPs im elterlichen Heim als zentralem Sehnsuchtsbezugspunkt zurück. Das Jüdischsein der wohlhabenden Familie wird an vielen Stellen ebenso zentral für die nostalgische Erzählung eingesetzt, die aber auch ironisch gebrochen wird. Die jüngste Tochter Ali macht zum Beispiel ihre jugendliche Rebellion gegen ihre Bat-Mitzwa (auch im 1990er Flashback erzählt), die sie als zweifelnder Teenager einfach absagen durfte, ihren Eltern nun retrospektiv zum schweren Vorwurf. Sie sieht darin einen Grund für ihre mangelnde identitäre Festigung in religiösen Traditionen (auch Josh scheint in seiner zum Scheitern verurteilten Affäre mit der Rabbinerin Raquel Fein (Kathryn Hahn) ähnliche Beweggründe zu haben). Als Tomboy der Familie hat Ali einst ein erfolgreiches Kinderbuch geschrieben und überlegt nun, auf Kosten Mauras wieder ans College zurückzukehren. Nicht nur ihr Berufsleben, auch ihr Beziehungsleben macht ihr Probleme: Ihr heiß ersehntes Sex-Date mit ihrem dominanten afroamerikanischen Personaltrainer Derek (Cleo Anthony) und dessen ebenso durchtrainiertem Mitbewohner Mike (Amin Joseph) scheitert, als sie die Männer im Drogen-Rausch dazu auffordert, auch einander näherzukommen und sich zu lieben. Auf der Heimfahrt fragt sie den besorgten armenischen Taxifahrer noch immer high, ob dieser traurig sei und dieser erwidert lakonisch, dass am Leben zu sein, heißt, traurig zu sein.
Später lernt Ali nach einer Gender-Studies-Vorlesung den Transmann Dale (Ian Harvie) kennen und erneut wird ihre Perspektive kritisch hinterfragt. Nachdem sie sich von ihrer bisexuellen besten Freundin Syd (Carrie Brownstein) in die Tricks der High-Femme-Performance einweihen lässt und ein feminines Makeover erhält, geht auch bei diesem Date alles schief: viel diskutiert der zu Boden fallende Dildo (z.B. Jack Halberstam auf Bully Bloggers oder Cael Keegan in The Advocate inklusive Interview-Replik von Harvie selbst ebenfalls in The Advocate).
Wichtiger, als dass das Sextoy nicht zum Einsatz kommt, erscheint mir aber, dass nach dem gescheiterten Date alles retrospektiv als Alis übersteigerte Fantasie von viriler (Trans-)Männlichkeit erscheint: Dales hypermaskuline Macho-Hütte sehen wir nun auf einmal als Normalo-Apartment, in dem sie von ihm nicht wie vorher dominant kommandierend, sondern höflich zurückhaltend, einen Tee angeboten bekommt. Hier, wie an vielen Stellen, scheint die Serie bereit zu sein, Clichés zu hinterfragen, die sowohl vermeintlich straightes Familienleben als auch queere Subkultur betreffen. Showrunnerin Jill Soloway betont die enge Zusammenarbeit mit queeren Berater_innen bei der Entwicklung der Serie, die sie weiter vertiefen will (siehe hierzu auch Michaela Wünsch auf Fernsehmomente).
Auch die älteste Tochter Sarah, eingangs finanziell privilegierte Hausfrau und Mutter, verlässt Hals über Kopf ihren verdutzten Ehemann Len (Rob Huebel), um eine Affäre mit ihrer lesbischen Jugendliebe Tammy zu beginnen (hier erscheint es mir besonders wichtig, dass die in der ersten Version des Pilots noch durch und durch den L Word-Konventionen lesbischer Weiblichkeit entsprechend gestylte Darstellerin Gillian Vigman durch die für diese Rolle amüsant jovial Butch auftretende Melora Hardin ausgetauscht wurde), welche prompt in die LA-Homo-Bürgerlichkeit überführt wird: Jede bringt Kinder in die neue Patchwork-Familie mit und alles konzentriert sich auf die Planung des neuen Heims. Aber auch die vermeintlich spießige Tochter der Familie überrascht darin, dass sie die Transition des Vaters samt weiblichem Pronomen am besten ‚verkraftet‘ und als erste durchweg die neue Bezeichnung „Moppa“ für ihr Elternteil verwendet.
Judith Light, Serienfans als Familienoberhaupt aus Who’s the Boss (1984-1992) gut bekannt, ist als Ex-Frau Moppas, Shelly, dabei ein ebenso überzeugender Charakter, die herrlich abgeklärt ihren, später versterbenden, dementen zweiten Ehemann Ed (Lawrence Pressman) sucht, weil dieser mal wieder auf einem seiner Ausflüge in deren altersgerechter Wohnanlage verloren gegangen ist.
Im Zuge ihrer Transition will Maura das schicke Architekten-Haus, dessen Verkauf sofort Begehrlichkeiten bei den Kindern weckt, für ein kleines Apartment in einer transfreundlichen Wohnanlage eintauschen. Ihre neue Freundin aus dem LA LGBT Center, Davina (Alexandra Billings), eröffnet ihr in durchaus bitterem Ton, dass sie sich als Transfrau unweigerlich auf den Verlust ihrer Familie einstellen muss: „In five years, you are going to look up and not one of your family members is still gonna be there, not one.“
Genau diese Perspektive auf die Transition als unweigerlichem Familienverlust will Transparent hinterfragen: Die Staffel endet genau an dem Ort, den schon so viele Familienserien zentral setzten: beim gemeinsamen Abendessen aller Familienmitglieder, die – nach lautstarkem Disput um ein weiteres Familienmitglied (dem von Josh als Teenager mit seiner Babysitterin gezeugten und von ihr ohne sein Wissen von einer Midwestern christlich konservativen Familie adoptierten Sohn Colton (Alex MacNicoll), der nun mit 17 seinem Vater seine Existenz eröffnet) angewachsen – wieder zusammenfinden. Die vielschichtigen Spannungen zwischen der Elterngeneration und den Kindern in Transparent zeigen, dass ‚Erwachsenwerden‘ eine Lebensaufgabe ist. Die Nostalgie nach ‚klassischer‘ Familie wird hier ernst genommen – aber sie wird ergänzt um queere Dimensionen des Alltäglichen.
Was ich an der Serie bisher vor allem schade finde, ist, dass sie so wenig auf episodische TV-Erzählkonvention setzt. Transparent ist mit seinen zehn nicht einmal 30-minütigen Folgen für meinen Fernseh-Geschmack zu nah an einem ‚gestückelten Film‘ – das wird dadurch noch verstärkt, dass Amazon die Serie nicht wöchentlich ausstrahlt, sondern, dem Binge-Watching-Trend entgegenkommend, die ganze Staffel an einem Tag freigibt. Trotzdem bin ich natürlich gespannt, wie es im Herbst mit den Pfeffermans weitergeht. Insgesamt glaube ich, dass wir die Sichtbarkeit queeren Lebens auch in noch längeren regelmäßigen Formaten brauchen.4)Die 2013 auf ABC gestartete Serie The Fosters scheint – immerhin schon in der dritten Staffel – in eine solche Richtung zu gehen und ist auf meiner Watchlist als nächstes vorgemerkt. Wie Shonda Rhimes jüngst wieder einmal überzeugend proklamierte, ist ihr Projekt nicht, das Fernsehen zu „diversifizieren“, sondern den tatsächlich existenten pluralen (LGBT und/oder nicht-Weißen) Lebensrealitäten auch im Mainstream-TV (und eben nicht nur auf den exklusiven Sparten-Kabelsendern und Streaming-Diensten) Rechnung zu tragen – und somit das Fernsehen dahingehend zu „normalisieren“.
Elahe Haschemi Yekani
Fußnoten
↑1 | McCabe, Janet Elizabeth and Kim Akass, eds. Quality TV: Contemporary American Television and Beyond. London: I.B. Tauris, 2007. |
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↑2 | Thompson, Robert J. Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER. Syracuse: Syracuse University Press, 1997. |
↑3 | Die Serie Hit & Miss (2012) porträtiert ebenfalls zentral eine Transfrau, die von Chloë Sevigny verkörperte Auftragskillerin Mia. Es ist unklar, ob die Serie von Anfang an als geschlossenes Drama für nur eine Staffel angelegt war oder aber abgesetzt wurde. |
↑4 | Die 2013 auf ABC gestartete Serie The Fosters scheint – immerhin schon in der dritten Staffel – in eine solche Richtung zu gehen und ist auf meiner Watchlist als nächstes vorgemerkt. |
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