„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Allein der Titel der umstrittenen „Hart aber fair“-Sendung vom 2. März 2015 sprach Bände: „Nieder mit dem Ampelmännchen“ hieß es da und angesichts der Diskutant_innen-Runde war schnell klar, dass Frank Plasberg und seine Redaktion nicht die Absicht hatten, hart und fair zu diskutieren. Ich vermute, dass es eher launig-sexistisch zugehen sollte, aber dazu habe ich mich bereits an anderer Stelle geäußert.

Interessant ist nun, dass der Rundfunkrat des WDR am 18. August aufgrund von Protesten mehrerer Frauenverbände und Gleichstellungsbeauftragten beschlossen hat, die Sendung aus der Mediathek zu nehmen. Was folgte, lässt sich – ohne besonders viele Zitate aus besonders vielen Zeitungen zu strapazieren – folgendermaßen auf den Punkt bringen: Der WDR betreibt auf Wunsch von Feministinnen eine Selbstzensur. Selbst Sophia Thomalla, der der WDR mit seinem Beschluss eigentlich einen Gefallen getan hat, ist empört: „Verbote von Meinungen kenne ich eigentlich nur aus dem Geschichtsbuch“, wird sie am 23. August in der BILD zitiert. Na immerhin. Und Wolfgang Kubicki legt noch einen drauf: „Die Sendung muss wieder raus aus dem Giftschrank, rein in die Mediatheken. In welchem Land leben wir, wenn feministische Extremisten in der Lage sind, mit einem organisierten Shitstorm die Meinungsfreiheit einzuschränken?“

Als Bloggerin liebe ich solche Aussagen, da sie aufgrund ihrer Verrücktheit so herrlich anschlussfähig sind. Ich könnte also im Folgenden über Antifeminismus, Giftschränke, die FDP, Deutschland, organisierte Shitstorms oder einfach über feministischen Extremismus schreiben, obwohl ich darüber doch noch etwas länger nachdenken müsste. Aufgreifen möchte ich allerdings den Begriff der Zensur, den der WDR in einer Stellungnahme auf das Schärfste zurückwies und die Sendung aufgrund der Vorwürfe vor kurzem wieder in die Mediathek aufgenommen hat. Denn Zensur ist ein Reizwort, das in regelmäßigen Abständen für mediale Aufmerksamkeit sorgt (oder sorgen soll), um ungeliebte Debatten oder Diskussionen zu diskreditieren.

Angesichts der gestrigen Hart aber Fair Sendung, in der der bayerische Innenminister Joachim Herrmann Roberto Blanco als einen wunderbaren N* bezeichnete, mag sich manch eine feministische Extremistin an die „N“-Wort-Debatte erinnern, die mit einem Brief von Mekonnen Mesghena begann. Mesghena, Leiter des Referats „Migration und Diversity“ der Heinrich-Böll-Stiftung und Vater einer Tochter im Vorlesealter, wies den Thienemann-Verlag darauf hin, dass einige Begriffe aus Otfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“ diskriminierend seien und bat um die Streichung dieser rassistischen und verletzenden Worte. Da seiner Bitte entsprochen wurde, befand sich das deutsche Abendland Ende 2012 im Ausnahmezustand und bangte um seine nationale Identität. Das deutsche Feuilleton war entrüstet, dass deutsches Kulturgut nun zu einer „Trottelsprache“ (Jan Fleischauer, Spiegel) verkomme und predigte von einer „Hexenjagd“ auf alles Geschriebene (Ulrich Greiner, Zeit).

Bemerkenswert an dem medialen Aufruhr war zum einen, dass die Debatte über Rassismus in Kinderbüchern eine genuin weiße Debatte war. Die Journalistin Simone Dede Ayivi wies zurecht darauf hin, dass in der Diskussion das Wissen Schwarzer Menschen in Deutschland ausgeblendet wurde und dass wieder einmal der weiße Diskurs erkläre, wann sich wer verletzt fühlen dürfe. Bemerkenswert war zum anderen, dass jeder Einspruch mittels eines Kampfbegriffs vom Tisch gefegt wurde: Denn diejenigen, die ihren Kindern keine rassistischen Begriffe vorlesen möchten, seien die Politisch Korrekten. Und damit war das Thema erledigt.

Worum es also bei dem Ruf nach Zensur („Ampelmännchen“) oder dem Wunsch nach einer unzensierten Sprache („Kleine Hexe“) geht, ist der Kampf gegen eine herbeihalluzinierte Politische Korrektheit. Getreu dem Motto „das wird man ja wohl noch einmal sagen dürfen“ formiert sich hier der Widerstand einer traditionellen Elite gegen den Verlust von Autorität und Macht. In mehreren soziologischen und politikwissenschaftlichen Studien (z.B. Auer 2002; Erdl 2004) konnte gezeigt werden, wie die „Political Correctness“ zu einem neokonservativen Programm avancierte: Während der Begriff in den 1960er innerhalb der Linken noch als ironische Selbstkritik verwendet wurde, begann in den 1980er Jahren seine massenmediale Verbreitung, welche mit einer negativen Konnotation einherging. Ab den 1990er war es dann soweit: „PC“ wird vollkommen vom Neokonservatismus dominiert, fungiert als ideologischer Code und wird in stigmatisierender Art und Weise gegen emanzipatorische und liberale Ansichten gewendet.

Der Mythos von der Politischen Korrektheit funktioniert dabei zumeist über die Inszenierung eines Tabubruchs: Man(n) dürfe ja wohl noch sagen, dass Männer und Frauen verschieden sind, dass Astrid Lindgrens N*könig kulturell wichtig ist und dass man(n) stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein. Vergessen wird allerdings, dass es keine realexistierende Gruppe gibt, die Sprechverbote erteilt – was heißt, dass die neokonservativen Kritiker_innen der Political Correctness erst eine solche erfinden mussten. Entsprechend der Tradition wurden also traditionelle Feindbilder strapaziert: Es sind Feministinnen, Linke und Schwule, die als „Gutmenschen“ Kontrolle und Zwang über alle anderen ausüben. Sie wollen das verbieten, was Spaß und Identität macht: Sexismus, Nationalismus, Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus und sie leben alle vegan. Sie sind gender-gaga, das ist offenkundig.

Was verbirgt sich nun hinter der Zensur-Angst? Die Journalistin Özlem Topçu bringt es auf den Punkt: Die Elite ist irritiert, dass nun andere mit am Tisch sitzen, wenn es um wichtige gesellschaftliche Entscheidungen geht. Sie sagen „Zensur“, wenn die Anderen, also die vom diskursiven Rand, gehört werden. Und sie sagen „Zensur“, wenn die Anderen Erfolge verbuchen. Nun ist natürlich zu fragen, ob das Verbannen einer unsäglichen Sendung aus einer Mediathek in Zeiten von youtube ein Erfolg ist. Die Streichung rassistischer und verletzender Worte aus Kinderbüchern ist es aber allemal.

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