„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Ich zähle zwar dazu, aber ich komme nicht vor. (Elfriede Jelinek)

Das künstlerische Werk der Autorin Elfriede Jelinek sorgt immer wieder für Kontroversen, Streit und Widerstand – wie im April anlässlich der Aufführung ihres Textes Die Schutzbefohlenen an der Universität Wien, im Jahr zuvor in Breslau zu beobachten war. In Wien stürmten Anhänger der „Identitären“ die Bühne, in Polen versuchte sogar die Regierung, die Aufführung von Der Tod und das Mädchen zu verbieten. Auch journalistische Beiträge über Jelinek rufen regelmäßig Berge aufgebrachter postings hervor. Jelineks feministische Spracharbeit, ihre kontinuierliche Auseinandersetzung mit Sexualität, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, ihre Kritik am Theaterbetrieb, insbesondere aber auch ihr Engagement gegen den politischen Rechtspopulismus in Österreich seit Ende der 1990er Jahre fordern die Öffentlichkeit heraus. Ihre Texte leben vom Streit, von Widerspruch, von Rede und Gegenrede. Sie liefern seismographische Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse, indem sie Geschlechter- und Kapitalismuskritik verbinden und grundlegende Veränderungen wie die Globalisierung in Ökonomie und Medien reflektieren. Auf ihrer Homepage bezieht die Autorin darüber hinaus regelmäßig zu tagespolitischen Ereignissen Stellung.

Sprachlich tragen Jelineks Texte den Widersprüchen, die sie verhandeln, durch ihre experimentelle Form Rechnung. Es handelt sich um mehrstimmige Gebilde, die die Frage: ‚wer spricht?‘ umkreisen. Sie stellen die Souveränität der männlich gedachten Autorinstanz infrage und setzen sich mit der Autorität des eigenen Sprechens auseinander, das diese Autorität behauptet, verletzt und unterminiert zugleich. Zudem bezieht sie sich immer wieder explizit auf die Texte anderer Schriftstellerinnen und den Ausschluss von Frauen aus dem Kanon bzw. der Literaturgeschichte; ein Ausschluss, den noch das poststrukturalistische Theorem vom ‚Tod des Autors‘ fortschreibt. Bei Jelinek überlagern sich somit Stimmen, Redewendungen, Werbesprüche, Zitate oder bloße Sprachfetzen auf vielfache Weise. Seit Ende der 1960er Jahre hat sie ein komplexes und allein vom Umfang kaum noch überschaubares Œuvre vorgelegt, das verschiedenste Textsorten umfasst und Gattungsgrenzen überschreitet: Romane und Theatertexte gehören ebenso dazu wie Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher, Libretti und Übersetzungen. 2014 veröffentlichte Pia Janke das erste kommentierte Gesamtverzeichnis von Jelineks Werk und dessen Rezeption, das aus zwei Teilbänden und 1.155 Seiten besteht.

Für ihr literarisches Werk hat Jelinek zahlreiche, renommierte Auszeichnungen erhalten, darunter 1998 den Georg-Büchner-Preis (den bedeutendsten deutschen Literaturpreis) sowie 2004 den Nobelpreis für Literatur. Der Nobelpreis hat ihre spezifische Situation als Autorin – ausgeschlossen und beteiligt zugleich zu sein – in besonderer Weise verschärft: Die internationale Anerkennung hat nämlich hierzulande erst recht deutlich gemacht, wieviel Abwehr, ja offene Ablehnung und Feindschaft ihr umfangreiches Werk und ihre Person bis heute erfahren. Gegen diese Anfeindungen behauptet sich Jelinek inzwischen seit einem halben Jahrhundert. Dies ist für eine Autorin, bei der die Angriffe immer auch auf ihre Existenz als Frau zielen, eine bemerkenswerte Leistung des Überlebens.

Jelineks Werk war und ist nicht nur Gegenstand heftiger Kontroversen, sondern auch öffentlicher Skandalisierung. Seit der Uraufführung ihres Theatertextes Burgtheater im Jahr 1985 wird sie in Österreich als ‚Nestbeschmutzerin‘ verunglimpft. Das Stück kann als Schlüsseltext gelesen werden, der die Verstrickung und mangelnde Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich kritisiert; ein Thema, das sich – neben der Kritik der Geschlechterverhältnisse und der kapitalistischen Ökonomie – wie ein roter Faden durch das Werk der Autorin zieht. Diese Themen bestimmen auch einen großen Teil der Jelinek-Forschung; weitere wichtige Gebiete der Forschung sind die Sprachkritik sowie ihre Dramen- und Theaterästhetik.

Dem inszenierten Spiel mit Realität und Fiktion in Jelineks Texten korrespondiert die vielschichtige mediale Selbstdarstellung der Autorin als Kunstfigur ‚Elfriede Jelinek‘, die ihrer dekonstruktiven Textarbeit entspricht. Neben Essays und Interviews kommentieren Jelineks wechselnde Outfits ihr Werk, das sich kritisch mit dem weiblichen Objektstatus auseinandersetzt. Die Autorin legt damit auch eine autobiographische Spur, die sie gleichzeitig immer wieder hinterfragt und unterläuft. Dies gilt nicht nur für die Darstellung ihres eigenen Werdegangs, sondern auch für die dezidierte Auseinandersetzung mit der Literatur von Frauen, die häufig auf die autobiographische Dimension reduziert wird. Mit ihrem berühmten Roman Die Klavierspielerin (1983) hat Jelinek diesen voyeuristisch gefärbten, biographischen Blick auf Autorinnen offengelegt und unterlaufen.

Aber nicht nur Realität und Fiktion, sondern auch Werk und Rezeption spiegeln, vermischen und kommentieren sich beständig. Durch die Preisgabe biographischer Details (insbesondere über ihre Beziehung zur Mutter, ihre Ausbildung, ihre Angstneurose und ihre literarische Entwicklung) in unzähligen Interviews scheint die Autorin dem Authentizitätsbegehren der Öffentlichkeit nachzugeben. Doch nicht nur die fast klischeehaft wiederkehrenden Selbstaussagen Jelineks über Biographisches und Persönliches, sondern auch die Auftritte von Autorinnenfiguren in Theatertexten wie Ein Sportstück (1998), Das Werk (2002) und Winterreise (2011), die sich an der vermeintlich authentischen Jelinek der Porträts und Interviews orientieren, werfen die Frage nach einer autobiographischen Lesart einerseits und der Position weiblicher Autorschaft andererseits auf. Schon Jelineks erste Theatertexte wie Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte (1979) und Clara S. musikalische Tragödie (1982) befassen sich dezidiert mit der Figur der Künstlerin.

Die Selbstinszenierungsstrategien der Autorin hat die Forschung bisher vor allem jenseits des literarischen Textes bzw. in traditionell als authentisch eingestuften Textsorten wie Autoreninterviews untersucht. Als gemeinsamer Konsens gilt: Jelineks mediale Auftritte suchen die Grenze zwischen biografischer Realität und Fiktion bzw. Leben und Werk bewusst zu destabilisieren. Sie dienen der Darstellung einer Kunstfigur und sind als solche zu untersuchen. Eine Auseinandersetzung mit der Inszenierung der Autorin im literarischen Text steht dagegen noch weitgehend aus.

Der erste Theatertext Jelineks, in dem eine Autorinnen-Figur auftritt, ist Ein Sportstück. Mit ihr setzt der Text ein, und das gleich in dreifacher Gestalt, nämlich als „Die Frau“, „Die Autorin“ und „Elfi Elektra“. Diese Konfiguration markiert eine deutliche Veränderung in Jelineks Konzeption von Autorschaft und ihrer Dramen- und Theaterästhetik. Während sie bis dahin mit der Autorinstanz vor allem in der Regieanweisung, dem sog. Nebentext, ihr Spiel getrieben hatte, lässt sie hier die Autorinstanz und die Autorinnen-Figuren in Haupt- und Nebentext agieren. Dadurch wird die intertextuelle Poetik mehrstimmigen Sprechens zum poetologischen Modell auktorialer Selbstreflexion im Drama. Zu dieser Selbstreflexion gehört auch der Wechsel zwischen Sprech- und Beobachterposition, der nicht nur der Bühnensituation Rechnung trägt, sondern auch die dialogische Figurenrede in die Dialogizität des Sprechens der Autorinstanz verschiebt. So ist bereits der Nebentext, mit dem Ein Sportstück einsetzt durch den Wechsel von dritter Person („die Autorin“, „sie“) und erster Person („ich“) geprägt.

Nicht nur die Verweise auf den eigenen Namen, auch die Bezugnahme auf Anfeindungen und Vorurteile gegen ihre Person und ihr Aussehen referieren in Ein Sportstück auf die mögliche Identität von Figur und realer Autorin. Sie werden durch die vielstimmige Rede aufgenommen, in den binnenfiktionalen Beschimpfungen der „Frau Autor“ aber auch gebrochen. Wenn Elfi Elektra sich als „eine geübte alte Wadenbeißerin“ bezeichnet, deren „Zähne […] den Leuten nicht [gefallen]“ oder das Machen von Vorwürfen zu ihrem „Markenzeichen“ erklärt, so demonstriert sie damit nicht nur einen ironischen Umgang mit sich selbst, sondern reflektiert auch das öffentliche Bild der Autorin Elfriede Jelinek (alle Zitate aus Ein Sportstück, Reinbek 1998).

Dem intertextuellen Schreibverfahren liegt eine profunde Skepsis gegenüber der Vorstellung eines eigenen, authentischen Sprechens zugrunde. Die Figuren artikulieren nicht mehr intentionale Sprechakte, sondern produzieren eine Mehrstimmigkeit, in der sich, wie Juliane Vogel anmerkt, „die Stimme der Autorin ebenso verliert wie die Fiktion souveräner und präsentischer Autorschaft“ (Vogel 2013, 50). Die Vorstellung eines souveränen Autors, der über die Sprache zu verfügen vermag, wird durch das Prinzip der Selbstauflösung im Geflecht der Intertextualität unterlaufen.

Der Wettkampf, den Ein Sportstück austrägt, ist daher allererst der Kampf zwischen der überlieferten Form von Drama und Theater sowie verschiedenen Konzepten von Autorschaft. Die Auseinandersetzung mit dem Theater führt zur Infragestellung männlicher Autorschaft, die als „Hochleistungssport“ erscheint. Ein Sportstück setzt dafür programmatisch auf eine ambivalente, ironische Autorschaftsinstanz, deren Sprechen – wie Jelinek nicht zuletzt in ihrer Nobelpreisrede „Im Abseits“ vorgeführt hat – stets an- und abwesend zugleich ist. Die Stimme der Autorin bleibt dadurch – wie viele ihrer Texte verdeutlichen – in einem performativen Selbstwiderspruch gefangen und „sagt nichts“: sie versagt vielsagend.