„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Sind Sie auch verwirrt oder mussten den Titel zweimal lesen? Dies ist ein Fernsehformat bei Vox, das Privates von sechs prominenten Müttern auf die Bildschirme bringen soll. Es geht um Erziehungsfragen, Mutterschaft, Alltag und Partnerschaft. Die sechs Frauen sitzen auf Sofas zusammen und unterhalten sich, zwischenzeitlich werden vorproduzierte Videos aus dem Alltag mit ihren Kindern gezeigt. Bei den Gesprächen bezeichnen sich alle konsequent mit den männlichen Sprachformen, beispielsweise: „Ich als Sportler, habe mit meinen Kindern bestimmte Regeln.“ Oder „…als Profisportler bin ich viel unterwegs und habe meinen Kindern gegenüber schlechtes Gewissen.“

Allerdings spricht keine von sich selbst als Vater, diese Rolle scheint dann doch klar geblieben zu sein. Die Verwendung des generischen Maskulinum bedeutet kein Spiel mit den Geschlechterrollen, es geht nicht um Familienkonstellationen, in denen sich mehrere Menschen um ein Kind kümmern, sondern um die klassische heterosexuelle monogame Kleinfamilie. Ansonsten sind die Gäste sehr bemüht, als taffe, berufstätige, viel beschäftigte „Supermuttis“ aufzutreten, ganz im Sinne des neoliberalen Modells: Das die Gesellschaft reproduzierende Multitaskingkarrieretalent. Dazu gehört auch, über das eigene Terminchaos zu lachen, so ist dann nun mal bei Künstler*innen oder allgemein bei kreativen Menschen. Mal abgesehen davon, dass nur weiße US-Amerikanerinnen und Deutsche zu sehen sind, fragt man sich: Warum diese geballte männliche Mutterschaftsshow? Sollen wir im beginnenden Weihnachtskoma schon mal vorsichtig auf den alt bekannten und bewährten Weg eines konservativen Frauenbildes samt patriarchalen Sprachgebrauch gebracht werden? Wider der gefühlten Unsicherheit in den heutigen Zeiten? Mal abgesehen davon, dass es, wenn Frauen (es war m.E. keine dabei, die sich als Transgender/Intersex/Nonbinary etc. definierte) sich selbst mit der männlichen Form zu bezeichnen, grammatikalisch falsch ist, bleibt die Frage, ob die Verwendung des generischen Maskulinum eine Regieanweisung ist oder Ausdruck des Selbstbildes der Frauen als erfolgreiche Mütter.

Das Fernsehformat ist kein vereinzeltes Phänomen, sondern bettet sich ein in ein gesellschaftliches Klima, das Geschlechterhierarchien unthematisiert lässt, weil sie als überwunden oder irrelevant gelten. Dabei geht es nicht nur um Sprache, sondern um Geschlechterverhältnisse insgesamt. Nach einer relativ langen Phase der bürgerlichen politischen Offenheit, in der einige Forderungen der 2. Frauenbewegung in vielen Bereichen auf unterschiedlichste Art übersetzt wurden, sind nun die vermeintlichen Restaurationsbewegungen deutlich spürbar und sichtbar. Was die geschlechtergerechte Sprache betrifft, kennt nun beispielsweise fast jede staatliche Institution Leitfäden zu eben diesem Sprachgebrauch. Von Formularen über Ansprachen bis hin zu Amtsbezeichnungen ist zumindest die dichotome Geschlechtergesellschaft wiedergespiegelt. Selbstverständlich sind wir dennoch weit entfernt von einer Gesellschaft, die sich nicht über Geschlecht(er) ordnet und diesen Bedeutung zuweist, die wiederum Hierarchien schaffen. Und wie notwendig eine kontinuierliche Auseinandersetzung um Geschlecht ist, zeigt die neue Krise um die deutsche Sprache. Dabei kommt die Kritik nicht mehr nur aus dem wohlsituierten weiß-maskulinen Elfenbeinturm (der Universität), in dem Professoren um ihre Bedeutung bangen. Sie fühlen sich oft persönlich vom Feminismus oder besser von Feministinnen angegriffen, die die maskuline deutsche Sprache aus ihrer Sicht auf den Kopf stellen wollen. Längst ist geschlechtergerechte Sprache ein Thema, zu dem sich alle trauen, etwas zu sagen. Und sie ist eine der zentralen Zielscheiben von Gruppierungen wie den selbsternannten Sprachpäpsten, rechtspopulistische Identitären, AfD, Väterrechtsbewegung, „besorgten Eltern“ usw., die sie als Kampagne des Feminismus zu diffamieren versuchen.

Geschlechtergerechte Sprache ist freilich nicht selbstverständlich, ganz im Gegenteil. Maskulin gegenderte Sprache ist weiterhin die Norm. Die Angriffe auf die Versuche, in der deutschen Sprache Geschlechter sichtbarer zu gestalten oder sie ganz zu umgehen, werden mehr und vehementer. Diese gehen von Zeitungsartikeln wie „Verhunzung der Sprache“ über Sprach- oder Linguistikblogs mit Einträgen wie „gender mich nicht voll“ bis hin zu Angeboten von Rhetorikseminaren, die erklären, warum gerechtergerechte Sprache ‚totaler Quatsch‘ sei.

Warum brauchen wir feministisch-linguistische Interventionen?

All diese Positionen der Abwehr und Diskreditierung begründen ihre Haltung immer wieder mit zwei Argumenten: Erstens, geschlechtergerechte Sprache, egal wie gelöst – generisches Femininum, Binnen-I, Dynamischer Unterstrich, x-Form, statischer Unterstrich u.v.m. – seien nicht lesbar und schon gar nicht sprechbar. Die vermeintliche Folge sei, dass die deutsche Sprache verunstaltet wird. Der Inhalt lässt sich scheinbar sehr gut von der Form trennen. Die selbsternannten und von einem entsprechenden Publikum applaudierten „Päpste“ der deutschen Sprache oder auch Rhetoriklehrer (die sich auch gerne als „Hüter“ der „guten“ Sprache inszenieren) zählen gerne Beispiele auf, in denen sie mehrere geschlechtergerechte Sprachregelungen in einen Satz packen, und sie damit absichtlich holprig gestalten, oder versuchen, die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache als überflüssig zu bezeichnen, indem sie Sätze auflisten, die gar nicht gegendert werden müssen. Oft wird zusätzlich argumentiert „so spricht doch niemand!“. Im gleichen Atemzug ist von Homer bis Max Weber, von Platon bis Bronislaw Malinowski, Martin Luther, Sigmund Freud, Michel Foucault, Pierre Bourdieu die Rede. Sie alle sollen gut geschrieben und tolle Buchtitel produziert haben, ohne zu gendern. Ja, auch hier wieder sehr augenscheinlich: Frauen schreiben nicht. Aber nun gut, wenn wir über diese Kleinigkeit hinweg sehen, frag’ ich mich: Haben die so geschrieben wie sie sprachen? Oder haben die selbsternannten Hüter mal versucht, Martin Luther vorzulesen oder Platon? Das geschriebene Wort ist eben nicht gleich das gesprochene Wort und die genannten Autoren sind nicht einfach zu verstehen, trotzdem gibt man sich Mühe, sie in die Moderne zu „übersetzen“ und zu begreifen. Sie haben etwas Wichtiges mitzuteilen, Feministinnen und geschlechterkritische Menschen auch.

Sprache verändert sich nun mal seit dem es sie gibt. Sie passt sich den historischen Kontexten an oder besser gesagt: Menschen verändern sie und passen sie ihren Praxen und Verständnismöglichkeiten an, schon immer. Sprachliche Gewohnheiten sind also veränderbar und höchst flexibel. Immer vorausgesetzt, es gibt ein Interesse an Verständnis und Veränderung. Zusätzlich erweitern sich Sprachkenntnisse durch das Kennenlernen und Ausprobieren anderer Sprachniveaus, neuer Sprachregelungen, von Sprachexperimenten, Soziolekten usw. Sprache verändert sich und das mag sich erst mal ungewohnt anfühlen, ja. Gesellschaftliche Veränderungen gehen nun mal nicht ohne Wagnis, Verlust, Unsicherheit, Kreativität usw. – es sei denn, man will Gesellschaft nicht verändern.

Zweites Argument ist, dass das gesprochene Wort keinen Einfluss auf das Denken hat und somit auch keine Gleichberechtigung bringt bzw. gebracht hat. Eigentlich sollte dieser Zusammenhang nicht mehr grundsätzlich diskutiert werden müssen. Doch das wird hier nur der Vollständigkeit halber kurz ausgeführt, den jede_r, die/der sich dafür interessiert, kann das im Netz oder Fachzeitschriften finden. Es gibt viele gute quantitative wie qualitative Studien, die belegen, wie Sprache die Psyche beeinflusst.1)Dies ist nur ein Beispiel einer aktuellen Studie: Vervecken, Dries/Hannover, Bettina: Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social Psychology, 46 (2015), S. 76–92. Wie sollte es auch nicht so sein? Frauen sind in der Verwendung der maskulinen Form eben nicht gemeint und fühlen sich auch nicht mit-gemeint. Männer fühlen sich auch nicht mit-gemeint, wenn sie nicht explizit genannt werden. Es ist empirisch belegt, dass nicht gegenderte Sprache sich auf das Verständnis und damit auch auf Entscheidungen auswirkt.

Warum dieser Eintrag?

Eigentlich ist es ein altes Thema, das aber durch unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahren nicht breit rezipiert wurde und wenig Aufmerksamkeit bekam. Die Bürokratisierung von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen reicht eben nicht aus, um sie auch langfristig zu etablieren. Besonders die wirtschaftliche Krisenstimmung der Mittelschicht, die Restauration eines neu und anders funktionierenden Kapitalismus samt neuen Warenformen und damit einhergehend auch eine zunehmend rassistische Gesellschaft, die gerne an althergebrachten Konservativismen anknüpft, führen zu Glauben an (linguistische) Sicherheiten. Ontologien oder Universalitäten sind Folge von Sicherheitsbestrebungen, das sind einfache und hilfreiche Lösungen. Man hat schnell den Feind ausgemacht und es ist glasklar, woran man sich halten kann: Alle Menschen werden Brüder!

Alle Menschen werden… ?

Ich würde gerne mit vielen anderen Menschen – kollektive Intelligenz2)In diesem Sinne danke ich Karo Kalmbach und Sabine Dael für produktive Auseinandersetzungen und Kritik. – den Verschwörungstheorien entgegenwirken, die meinen, eine Handvoll machtbewusster Feministinnen in den Universitäten hätten in den 70ern medial geschickt alle mit ihrem „Genderwahn“ überrumpelt. Es sind umfangreiche gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die die Veränderung der Sprache bewirkt haben. Aber nicht nur was die Geschlechtergerechtigkeit betrifft, auch rassifizierende, markierende und klassistische sprachliche Zuschreibungen wurden neu gedacht und überdacht. Sprache produziert Ein- und Ausschlüsse, aber nicht, weil Sprache „einfach so ist“, sondern weil soziale Praktiken in diese eingewoben sind. Und bei Praktiken sind wir bei Akteur/-innen, bei Subjekten und Handlungen. Subjekte sind Denkvoraussetzungen, Erfahrungen, Strukturen, aber auch Zufällen und Handlungsmöglichkeiten unterworfen oder besser gesagt: durch diese geprägt. Es gibt auch den bewussten Handlungsspielraum, in dem jede und jeder und jed* und jedeR Handlungskompetenzen besitzt, Dinge zu verändern. Diese gilt es auszuloten und auszubauen, um gesellschaftliche Veränderung, in und durch Sprache zu bewirken. Wer das nicht will, kann sich weiter an einer wie auch immer gearteten und nicht definierten „Seele der Deutsche Sprache“ fest halten. Aber zumindest ohne diejenigen anzugreifen, die kreativ versuchen, Gerechtigkeit oder zumindest weniger Ausschlüsse über Sprache zu schaffen.

Fußnoten

Fußnoten
1 Dies ist nur ein Beispiel einer aktuellen Studie: Vervecken, Dries/Hannover, Bettina: Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social Psychology, 46 (2015), S. 76–92.
2 In diesem Sinne danke ich Karo Kalmbach und Sabine Dael für produktive Auseinandersetzungen und Kritik.