„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

In einer meiner Lehrveranstaltungen dieses Semesters, Gender und Medien, sind Darstellungen von Gewalt immer wieder Gegenstand des Unterrichts. Es handelt sich um ein Einführungsseminar, das einen Überblick über Fragestellungen und Methoden medienwissenschaftlicher Geschlechterforschung geben und ein Vermögen zur kritischen Analyse vermitteln soll. Auseinandersetzungen mit Gewalt sind dabei unvermeidlich. Den Einstieg ins Seminar bildet etwa die angstvolle Schaulust eines männlichen Protagonisten an häuslicher Gewalt und der Ermordung einer Nachbarin. Gemeint ist Hitchcocks Rear Window (USA 1954), ein ‚Klassiker’ des Forschungsbereichs, der in Verbindung mit Laura Mulveys psychoanalytischer Theorie des Kinoapparates diskutiert wird. In einem anderen filmischen Beispiel, Douglas Sirks Imitation of Life (USA 1959), das ich in Bezug auf die Whiteness von Filmtechnologie zeige, wird eine der weiblichen Hauptfiguren von ihrem rassistischen Freund brutal zusammengeschlagen. Eine Sichtung von Victor/Victoria (USA 1982) vermittelt die irritierende Beiläufigkeit, mit der in selbst nicht ganz konventionellen Geschlechter-Inszenierungen Szenen angedeuteter Vergewaltigung eingefügt sind. Zu den im Seminar diskutierten Beispielen muss viel mehr gesagt werden, als dass sie Gewaltdarstellungen beinhalten. Dennoch ist ihre Gewaltförmigkeit ein wesentlicher Bestandteil und häufig Ausgangspunkt für die kritische Analyse.

Die derzeitige Diskussion um Trigger-Warnungen und die Frage nach der verletzenden Wirkung von Bildern und Sprache veranlassen mich dazu, über den Umgang mit diesen in der Lehre und die Notwendigkeit einer entsprechenden warnenden Einführung nachzudenken. Trigger-Warnungen werden seit einiger Zeit verstärkt in den USA, seit letztem Jahr auch hier in aktivistischen und akademischen Kontexten und insbesondere auf Veranstaltungen der Gender und Queer Studies diskutiert. Dabei geht es um die Bitte, eine Warnung vor dem Zeigen expliziter Gewaltdarstellungen auszusprechen und so zu vermeiden, dass das Publikum von diesen überwältigt wird oder im schlimmsten Fall traumatische Erfahrungen ‚getriggert’, d.h. ‚Re-Traumatisierungen’ ausgelöst werden.1)Auf die Bitte um eine Einschätzung von entsprechenden Warnungen formulierten die Studierenden in meinem Gender und Medien-Seminar viele sehr bedenkenswerte sowohl befürwortende als auch kritische Argumente, die hier zum Teil in den Text einfließen. Ich möchte mich an dieser Stelle dafür bedanken. Ebenso danke ich Karin Michalski und Maja Figge für Diskussionen!

Schutz wovor?

Bereits die filmischen Mainstream-Beispiele des Seminars sind häufig sehr gewaltvoll, vielleicht nicht zufällig hat aber eine Dokumentation, die aus einer queeren Community heraus entstanden ist – The Brandon Teena Story (USA 1989) von Susan Muska und Gréta Olafsdóttir – die explizite Auseinandersetzung mit dem Zeigen von Gewaltdarstellungen im Seminar herausgefordert. Der Film hat auf viele, mich eingeschlossen, eine verstörende Wirkung, da darin eine als äußerst brutal dargestellte ländliche Gemeinschaft den Tod eines Transmannes verursacht. Auch ein anderer dokumentarischer ‚Klassiker’ queeren Films, Jennie Livingstons Paris is Burning (1990) wird durch den gewaltvollen Tod einer Transfrau strukturiert. Es sind diese Darstellungen, die insbesondere die Frage aufwerfen, wieviel den Studierenden und mir selbst zumutbar ist, welche Gewalt und in welcher Form diese notwendigerweise Gegenstand der Auseinandersetzung in einem Gender und Medien-Seminar und in den Gender Studies im Allgemeinen sein sollte.

In einem viel diskutierten Text hat Jack Halberstam auf dem queeren Blog Bully Bloggers die Notwendigkeit von Trigger-Warnungen in Frage gestellt. In Halberstams Text und ergänzenden Beiträgen auf dem Blog werden viele wichtige, vor allem kritische Argumente aufgeführt, auf die ich an dieser Stelle nicht genauer eingehen kann; so wird etwa die Forderung nach Trigger-Warnungen innerhalb einer neoliberalen Logik individualisierten Leidens und einer allgemeinen Verschiebung vom Politischen zum Therapeutischen, von politics zu policy betrachtet. Es wird die Frage möglicher Zensur-Effekte und des Unsagbarmachens von Gewalt diskutiert, wie auch der Umstand, dass insbesondere diejenigen Lehrenden durch die Forderung nach Trigger-Warnungen unter Druck geraten, die selbst aus einer prekären Position heraus sprechen. Ich finde manches in den Überlegungen auf Bully Bloggers problematisch2)Etwa der zum Teil penetrante Verweis auf die Humorlosigkeit der „getriggerten Generation“ und das Unterstreichen der eigenen Humorfähigkeit, ein Umstand, der Halberstam auf twitter die Bezeichnung als „sports dad of queer theory“ eingebracht hat, was ich wiederum ziemlich lustig finde und Halberstam selbst in einem Nachtrag zum ursprünglichen Blogeintrag zitiert., besonders bedenkenswert erscheint mir jedoch die Frage, welche Art der Verletzung eigentlich durch Trigger-Warnungen vermieden werden soll. Die Psychoanalytikerin Avgi Saketopoulou versteht in einem äußerst lesenswerten Beitrag den Begriff des Triggerns als Referenz auf die Freudsche Angsttheorie. Dabei gehe es darum, durch eine Warnung die Entstehung von Angstsignalen zu verhindern, womit Angstreaktionen gemeint sind, die jene Reaktionen wiederholen, mit denen das Ich auf eine frühere traumatische Situation reagiert hatte. Diese treten in einer Trigger-Situation in abgeschwächter Form auf, wodurch psychische Abwehroperationen ausgelöst werden.3)Vgl. Laplanche und Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, S. 68. Die Forderung nach Trigger-Warnungen beinhaltet also den Wunsch, Situationen zu vermeiden, die einer ursprünglichen traumatischen Situation ähnlich sind, um keine angstförmigen Reaktionen hervorzurufen, die paradoxerweise eigentlich ein psychischer Schutzmechanismus sind. Das Funktionieren von posttraumatischen Reaktionen bedarf natürlich der viel genaueren Betrachtung. Entscheidend ist hier für mich, dass Saketopoulou darauf hinweist, dass Angstsignale in keinem einfachen, linearen Verhältnis zum traumatischen Ereignis stehen, sie sind unbewusst und ihre Symptomatik (Angstattacken, Phobien, psychosomatische Phänomene) ist unvorhersehbar. Das bedeutet jedoch auch, dass Warnungen vor Darstellungen von ‚im Allgemeinen’ als gewaltvoll erachteten Situationen höchst wahrscheinlich nicht im eigentlichen Sinn als Trigger-Warnungen funktionieren. Während das, was Angstsignale auslöst, viel individueller und idiosynkratischer zu sein scheint, kann die Warnung vor verstörendem Material stattdessen den ungewollten Effekt hervorrufen, die kritische Auseinandersetzung mit dem Material von vornherein zu verstellen, weil eine verstörende Wirkung antizipiert wird.

Eine besondere Situation in den Gender und Queer Studies?

Die Rede vom Triggern und die Sorge um posttraumatische Reaktionen gehen also möglicherweise an dem vorbei, worum es bei der Bitte um Warnungen vor gewaltvollen Bildern eigentlich geht. Vielleicht ist dies nicht das Verhindern von ‚Re-Traumatisierung’, sondern der Wunsch, zumindest an einigen relativ ‚geschützten’ Orten nicht in derselben Weise alltäglicher und allgegenwärtiger Gewalt ausgesetzt zu sein, auf die der Begriff des Traumas nur bedingt anwendbar ist.4)Es wäre an dieser Stelle sinnvoll, über alternative Begriffe zum Traumatischen nachzudenken. Autor*innen der Queer Theory argumentieren seit einiger Zeit gegen eine zu leichtfertige Verwendung des Trauma-Begriffs und arbeiten an Konzepten wie „slow death“, um sich der Alltäglichkeit von, als nicht weniger desaströs verstandener, Gewalt jenseits von Trauma anzunähern. Siehe Lauren Berlant: „Slow Death (Sovereignty, Obesity, Lateral Agency)“. In: Critical Inquiry, Vol. 33, No. 4 (Summer 2007), S. 754-780. Die Wirksamkeit von Trigger-Warnungen in Frage zu stellen, soll nicht bedeuten, die alltägliche Erfahrung homophober, transphober, rassistischer, sexistischer, normativer Gewalt, die für viele von schwerwiegender Realität ist, zu relativieren oder sich mit der Formulierung von Allgemeinplätzen wie der generellen Unmöglichkeit sicherer Räume zufrieden zu geben. Die Frage ist, inwiefern der verständliche Wunsch nach einem entlastenden Raum in den Gender und Queer Studies von besonderer Bedeutung ist, ein Raum, in dem es möglich wäre, die von vielen sich im Alltag angeeignete „defensive Wachsamkeit“ (Saketopoulous) zumindest vorübergehend aufzugeben. Die Frage ist jedoch auch, inwiefern diesem Wunsch zugleich in besonderer Weise nicht entsprochen werden kann, weil eben die Gewaltförmigkeit sozialer Beziehungen zentraler Gegenstand der kritischen Analyse ist.

In ein anderes Verhältnis zum Persönlichen treten

Zumal sich Vorstellungen von Schutz und Entlastung stark unterscheiden können. Gerade die Auseinandersetzung mit gewaltvollen Darstellungen kann als Entlastung empfunden werden, wenn es gelingt, durch das Benennen gewaltvoller Realität eine Möglichkeit zur Distanzierung von dieser zu schaffen, eine Voraussetzung für das kritische Verstehen ihrer Funktionsweisen:

„… stepping back from the personal or, put another way, stepping differently in relation to it … because the capacity to analyze and alter the embedded structures that reproduce social inequalities and sometimes murderous violence require precisely this separation.“
— Ann Peligrini (2014), Classrooms and Their Dissed Contents

Die Konfrontation mit Darstellungen von Gewalt führt im besten Fall dazu, ein Verhältnis zu dieser einzuüben, das es ermöglicht, nicht immer wieder von ihr grundlegend erschüttert zu werden. Zugleich ist dies natürlich eine Frage des Wie. So fragen die Studierenden im Gender und Medien-Seminar berechtigterweise, warum es nicht möglich sein sollte, vor dem Zeigen gewaltvoller Bilder auf diese hinzuweisen, was nicht in Form von Trigger-Warnungen geschehen muss. Solche Hinweise, die in der Regel wenig diskutiert werden, aber in den Gender und Queer Studies vermutlich an vielen Orten übliche Konvention sind, können als Ausdruck des Anerkennens einer allgemeinen Verletzbarkeit verstanden werden, als Explizit-Machen von Verletzbarkeit als Grundlage für die notwendige, aber zugestanden schmerzhafte Auseinandersetzung mit einer Gewaltförmigkeit, der alle, einschließlich vieler Lehrenden zu häufig nicht ausweichen können. Dieser Umstand und der Wunsch, auf dieser Grundlage ein distanzierendes, zur Analyse befähigendes Verhältnis zur Gewalt zu finden, ist ja gerade für viele Lehrende und Forschende in den Gender und Queer Studies ursprüngliche Motivation ihrer Arbeit.

Der Wunsch nach Trigger-Warnungen scheint mir – neben aller berechtigten Kritik – eine Aufforderung an die Lehrenden der Gender und Queer Studies zu beinhalten, sich der eigenen Voraussetzungen zu erinnern. Saketopoulou formuliert das sehr elegant:

„How does one keep in mind the tension between the fact that the most powerful transference magnet for the materialization of those reparative wishes, might after all be subjects who may themselves be the most highly permeable to trauma – the professor whose intellectual commitments lie in areas that take note of and speak back to structural and social inequalities?“
— Avgi Saketopoulou (2014), Trauma Lives Us

Möglicherweise enthält die erhitzte Diskussion um Trigger-Warnungen den Versuch einer Distanzierung auf Seiten der Lehrenden, nicht von der Auseinandersetzung mit Gewalt, aber von dem Eingeständnis, dass auch analytische Distanzierung nicht davor verwahrt, von ihr getroffen zu werden.

Es ist sicherlich noch viel mehr zu der Frage der Trigger-Warnungen zu sagen, bei der es ja letztlich auch darum geht, in welcher Weise und unter welchen Umständen Bilder und Sprache verletzen können.

Fußnoten

Fußnoten
1 Auf die Bitte um eine Einschätzung von entsprechenden Warnungen formulierten die Studierenden in meinem Gender und Medien-Seminar viele sehr bedenkenswerte sowohl befürwortende als auch kritische Argumente, die hier zum Teil in den Text einfließen. Ich möchte mich an dieser Stelle dafür bedanken. Ebenso danke ich Karin Michalski und Maja Figge für Diskussionen!
2 Etwa der zum Teil penetrante Verweis auf die Humorlosigkeit der „getriggerten Generation“ und das Unterstreichen der eigenen Humorfähigkeit, ein Umstand, der Halberstam auf twitter die Bezeichnung als „sports dad of queer theory“ eingebracht hat, was ich wiederum ziemlich lustig finde und Halberstam selbst in einem Nachtrag zum ursprünglichen Blogeintrag zitiert.
3 Vgl. Laplanche und Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, S. 68.
4 Es wäre an dieser Stelle sinnvoll, über alternative Begriffe zum Traumatischen nachzudenken. Autor*innen der Queer Theory argumentieren seit einiger Zeit gegen eine zu leichtfertige Verwendung des Trauma-Begriffs und arbeiten an Konzepten wie „slow death“, um sich der Alltäglichkeit von, als nicht weniger desaströs verstandener, Gewalt jenseits von Trauma anzunähern. Siehe Lauren Berlant: „Slow Death (Sovereignty, Obesity, Lateral Agency)“. In: Critical Inquiry, Vol. 33, No. 4 (Summer 2007), S. 754-780.