„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Seit die Universitäten zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus geschlossen wurden, versenden die Hochschulleitungen Rundmails mit der Aufforderung, für das anstehende Sommersemester digitale Lösungen für Forschung und Lehre auszuarbeiten, um die Aufrechterhaltung des universitären Betriebs sicherzustellen. Wie zur Motivation publizieren die Onlineportale aller Tages- und Wochenzeitungen ständig neue Mode-, Ernährungs- und Fitnesstipps für ein effizientes Arbeiten im Home-Office. In der digitalen Geschäftigkeit wird der Schmerz um die an Covid-19 Verstorbenen, die Sorge um die Kranken und Gefährdeten verdrängt. Die neue Grußformel „Bleib gesund!“ ist in ihrer Befehlsform mehr Aufforderung als Wunsch.

Dagegen wäre ein radikalfeministisches Innehalten wünschenswert, das sich dem digitalen Übergang zum business als usual verweigert und die Trauer um den Verlust von Öffentlichkeit und feministischen (Lehr-) Praktiken zum Ausdruck bringt. 

Die verordnete soziale Distanzierung, wirft alle (die eine haben) auf die Gemeinschaft mit ihren Vertrauten zurück und macht die Gesellschaft mit Fremden nahezu unmöglich: das zufällige wortlose Miteinander im Kino oder im Hörsaal, die flüchtige Begegnung im Café oder im Zug. In einem räumlich und zeitlich beschränkten Draußen bleiben alle auf ihre eigenen, schnellen Schritte, das jeweilige Ziel konzentriert. Vorsichtig, gar misstrauisch auf Abstand bedacht, fehlt die Aufmerksamkeit für Gesichter, Gesten und Gerüche, die uns neugierig machen, befremden, Erinnerungen wecken, auf andere Ideen bringen, zum Nachdenken anregen. Ins Freie zu gehen heißt, ins Unvorhergesehene gehen. Die Kontamination mit den Anderen ist das Glück und zugleich das Wagnis der Öffentlichkeit. Daran zu erinnern, stellt die aktuell gebotene Rücksichtnahme nicht in Frage. Die Klage über den Verlust des offenen Miteinanders sucht zu benennen, was auch diejenigen schmerzt, die infolge einer Infektion oder zur Vorsorge in Quarantäne leben müssen. Sie ist außerdem eine Form der Verweigerung, die digitale Simulation als Ersatz gelten zu lassen. 

Mit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens geht die Universität als öffentlicher Bildungsraum verloren. Der Campus reduziert sich auf eine digitale Lernplattform, in der Inhalte zu einem an die gängigen digitalen Formate angepassten Content werden, um möglichst jederzeit für das wissenschaftliche Content-Sharing abrufbar oder an der Schnittstelle zum E-Commerce verfügbar zu sein. 

Längst wurden die zwiespältigen Effekte der Vermessung und Metrisierung von wissenschaftlichen Praktiken für den akademischen Feminismus kritisch analysiert und die Un/Möglichkeiten von feministischer Theorie und Praxis im Rahmen der unternehmerischen Universität reflektiert. [1] Nachdem sich feministisches Wissen in strategischer Absicht allzu oft als Gender- und Diversity-Expertise integrieren und kommodifizieren ließ, käme es nunmehr darauf an, den Überschuss gegenüber jedem digital content zu betonen und feministische Praktiken nicht in der willfährigen Anpassung an digitale Verkehrsformen preiszugeben. In dem als positiver Nebeneffekt der sogenannten Corona-Krise erwarteten bzw. durch das Krisenmanagement erzwungenen „Schub für die Digitalisierung“ klingt nicht von ungefähr die Metapher für einen Krankheitsverlauf mit nachhaltigen Folgen an: Vieles von dem, was autonome feministische Theoriebildung und Wissensvermittlung ausmacht und seit jeher in der Institution kaum zur Entfaltung zu bringen war, droht im virtuellen Hörsaal gänzlich verloren zu gehen. Für den feministischen Austausch braucht es mehr als ein unscharfes Bild und einen verzerrten Ton in der Konferenzschaltung. Ein virtuelles Meeting bringt nicht in Beziehung, es sorgt lediglich für einen Kontakt, dessen Verlauf und Dauer häufig genug nicht von der Qualität der Kommunikation und der Stimmung unter den Beteiligten abhängt, sondern von der Verfügbarkeit und Geschwindigkeit der Internetverbindung. 

Eine kritische Haltung gegenüber der Transformation des Homo academicus in einen nach ökonomischen Parametern programmierten Homo digitalis lässt sich im Hinblick auf die berufliche Karriere oder die bloße Existenzsicherung qua Lehrauftrag kaum durchalten. Andererseits mag der kritische Anspruch vielen der neuerdings euphemistisch als „Solo-Unternehmer*innen“ bezeichneten Scheinselbständigen des Hochschul- und Kulturbetriebs als anachronistisch erscheinen. Wer die Imperative der neoliberalen Gouvernementalität verinnerlicht hat, weiß die Krise als Chance zu deuten: der verordnete Rückzug ins Home-Office gilt dann als Möglichkeit zur Öffnung neuer „Denkräume“ [2]; das „Zuhause denken“ als neue Philosophie. In der sicheren Quarantäne mit Breitbandanschluss wird das Zuhause nicht als räumliche Enge und intellektuelle Borniertheit erfahren. Obwohl zuletzt ein sozialwissenschaftliches und feuilletonistisches Modethema, erscheint Care nicht als Tätigkeit, die (weiterhin vornehmlich für Frauen) zur Doppel- und Dreifachbelastung wird, wenn das Home-Office parallel zur Ganztagsbetreuung von Kindern und/oder der Versorgung von älteren Angehörige sowie deren (in der Regel zur Corona-Risikogruppe zählenden) Pflegekräften organisiert werden muss. Letztlich exponiert sich jeder Zweifel an einer Aufwertung des Domizilen dem Vorwurf der mangelnden Selbstoptimierung, der auch die fehlende Anpassung an die schöne neue digitale (Hochschul-)Welt zugeschrieben wird. 

[1] Vgl. Gudrun-Axeli Knapp: Warum nicht vermessen sein? Anmerkungen zur Dialektik feministischer Aufklärung. In: Sabine Hark/Johanna Hofbauer: Vermessen Räume, gespannte Beziehungen – Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Berlin 2018, S. 39-70.

[2] Vgl. Svenja Flaßpöhler, Autorin von „Die potente Frau“ (Berlin 2018), in mehreren Radio- und TV-Interviews.