„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Nichts hören wir alle seit Bekanntwerden der Ausmaße der Covid-19-Pandemie so häufig wie Anleitungen zum Händewaschen und die Lieder, die wir dabei singen sollen. Es geht um Desinfektion und Hygiene beim Niesen und Husten – wichtige Hinweise für das alltägliche Leben, die auch nach Abklingen der Pandemie angewandt werden sollten, um sich selbst und verletzbare Gruppen zu schützen. Zu solchen Hinweisen gehört auch der Rat, nicht krank zur Arbeit zu gehen. Wer krank ist, sollte zu Hause bleiben und sich auskurieren – eigentlich ein Allgemeinplatz, der sowohl dem Schutz der Arbeitnehmer_innen selbst als auch den Kolleg_innen oder Mitfahrer_innen im ÖPNV zugutekommt. Nur: Dass es ein Privileg ist, dies tun zu können, wird mit Blick auf Menschen deutlich, die in prekarisierten Arbeitsbereichen tätig sind und für die sich diese einfache Grundregel schwieriger gestaltet.

Auf diese Problematik deutet der jüngst bekannt gewordene Fall im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg hin. Hier wurde eine Ausbreitung des Corona-Virus entdeckt, die wohl insgesamt 20 Patient_innen sowie 20 Mitarbeiter_innen der Onkologie betrifft. In einem Artikel von Spiegel-Online heißt es: „Laut SPIEGEL-Informationen gehen die Infektionen auf eine infizierte Reinigungskraft zurück, die Anfang vergangener Woche Bediensteten der Klinik wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes aufgefallen war.“ Die Pressestelle habe allerdings angegeben, die Infektion könne nicht auf eine einzelne Person zurückgeführt werden. Der NDR griff am Folgetag diese Aussage aus dem Spiegel-Artikel in einem Nachrichtenbeitrag auf und zitierte die Klinik: Die Reinigungskraft könne aus Sicht des UKE schon aufgrund ihres mangelnden Direktkontakts mit Patient_innen und medizinischem Personal nicht die Infektionsquelle sein. In einem späteren Beitrag des NDR wiederum heißt es, zunächst habe sich ein Pfleger krankgemeldet, dann ein Arzt und danach erst sei „eine Reinigungskraft mit Symptomen bei der Arbeit entdeckt“ worden. 

An dieser Stelle kann und soll es nicht darum gehen, über die genauen Umstände zu spekulieren. Vor dem Hintergrund meiner ethnografischen Forschung zu Reinigungsarbeiten im Krankenhaus stellen sich jedoch Fragen, die über diesen einzelnen Fall hinausgehen. Ist es Zufall, dass ein Pfleger und ein Arzt sich selbst krankmeldeten, eine Reinigungskraft mit Krankheitssymptomen dagegen von anderen beim Arbeiten „entdeckt“ wurde (NDR), bzw. „aufgefallen“ war (Spiegel Online)? Diese Formulierungen in der Berichterstattung erzeugen fast den Eindruck, als gehe es hier um ein ,Ertappen‘ – jedenfalls tritt die Reinigungskraft im Gegensatz zu Pfleger und Arzt nicht aktiv auf. Dies deutet auf eine Struktur hin, die während meiner Forschung immer wieder deutlich wurde: Reinigungskräfte müssen täglich darum kämpfen, im hierarchischen Gefüge des Krankenhauses überhaupt als Akteur_innen wahrgenommen zu werden.

Reinigung im Krankenhaus ist körperlich anstrengend, auf vielfache Weise prekarisiert und wird weitgehend von Frauen* verrichtet, überwiegend von Migrant_innen. Die ökonomische und gesellschaftliche Geringschätzung dieses Arbeitsbereichs hängt mit der historisch kontinuierlichen Feminisierung all derjenigen Tätigkeiten zusammen, die mit Hausarbeit assoziiert werden. Darüber hinaus werden in diesem Bereich auch Prekarisierungsprozesse in der Migrationsgesellschaft deutlich, beispielsweise wenn Bildungsabschlüsse von Migrant_innen nicht anerkannt und Zugänge zu anderen Tätigkeitsbereichen strukturell erschwert werden. In der Geschlechterforschung werden die Wechselwirkungen zwischen Zuschreibungen an diejenigen, die eine Arbeit ausführen, und der Bewertung dieser Tätigkeit vielfach untersucht. Reinigungskräfte, so zeigt auch meine Forschung, sind alltäglich mit rassistischen Zuschreibungen sowie mit der Abwertung ihrer Tätigkeit und ihrer Fähigkeiten konfrontiert.

Die konkreten Arbeitsbedingungen der Reinigung in Krankenhäusern hängen mit Ökonomisierungsprozessen des Gesundheitssystems zusammen, im Zuge derer die ,nicht-medizinischen‘ Arbeitsbereiche meist an externe Dienstleistungsfirmen oder Tochterunternehmen ausgelagert werden. Reinigungskräfte sind dort unterbezahlt und erhalten häufig nur Teilzeitverträge und die sogar oft befristet. Im Zuge von Sparmaßnahmen werden die von einer Person in der gleichen Zeit zu reinigenden Flächen immer größer.

Meine Gesprächspartner_innen aus der Reinigung berichteten mir besorgt, sie müssten immer mehr Abstriche in der Qualität ihrer Arbeit machen, um das Pensum annähernd bewältigen zu können. Außerdem schilderten sie mir ihre Angst, krank zu werden, weil sich dadurch ihre Arbeitsbedingungen zusätzlich verschlechtern könnten – ein Grund, wenn irgend möglich (auch krank) zur Arbeit zu kommen. Es wurden von ihnen zudem immer wieder hygienische Schulungen und der Infektionsschutz für Reinigungskräfte selbst bemängelt: Anleitungen kämen zu kurz und Informationen würden eher informell untereinander weitergegeben. Diese Zustände verwundern nicht zuletzt vor dem Hintergrund des naheliegenden Zusammenhangs zwischen mangelnder Reinigung und Infektionsgefahren. Auf diese Verbindung und die dringend gebotene Personalaufstockung der Krankenhausreinigung – aktuell und auf Dauer – weist zurzeit auch die Gewerkschaft ver.di hin.

Seit Ausbruch der Pandemie haben schon viele Geschlechterforscher_innen die aktuelle Situation analysiert und kommentiert (einen Überblick über geschlechtersoziologische Texte zu Corona bieten Tanja Carstensen, Imke Schmincke und Isabel Klein). Unter anderem wird diskutiert, was es bedeutet, dass die meisten „systemrelevanten“ Berufe überwiegend so genannte Frauenberufe sind (z.B. Lena Hipp). Dass Berufe wie die Pflege aktuell viel mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren, ist sicherlich ein positiver Nebeneffekt der Pandemie. Dabei, so machen auch Pflegekräfte deutlich, darf es jedoch nicht bleiben, vielmehr müssen die Arbeitsbedingungen in diesen Berufen grundlegend verbessert werden – auch über die Krise hinaus (z.B. Barbara Thiessen). Dies sollte auch und nicht zuletzt für den Arbeitsbereich Reinigung gelten: In Zeiten, in denen es nicht mehr nur in klinischen, sondern allen öffentlichen Räumen um erhöhte Hygienestandards und Infektionsschutz gerade für die Verletzbarsten unserer Gesellschaft geht, gewinnt die Reinigung an Bedeutung. Die Anerkennung dafür fehlt jedoch noch weitgehend – auch in der Corona-Berichterstattung über systemrelevante Berufe und in öffentlichen Beifallsbekundungen. Letzteres bedauert auch die Klinik-Reinigungskraft Erika Radisavljevic in einem Spiegel-Online-Interview, das bisher eine Ausnahme darstellt. 

Die Corona-Pandemie zeigt drastisch, dass die bisher immer noch weitgehend unsichtbare Reinigungsarbeit sichtbarer werden muss. Die besonders in der Geschlechterforschung geführte Debatte um gesellschaftlich ungleich verteilte Verletzbarkeiten muss auch diesen Arbeitsbereich und seine Akteur_innen einbeziehen, damit sie nicht erst in der Krise ,entdeckt‘ werden.