„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Die Bundesligasaison hat längst begonnen, die Stecktabelle hängt in der Küche, mein Verein hat einen grandiosen Start hingelegt – was kann es Schöneres geben? Ich bin fest davon überzeugt: Diesmal klappt es, wir holen den Titel.

Dass dieses „Wir“ problematisch ist, liegt auf der Hand. Denn als Feministin und bekennender Fußball-Fan bin ich mit einer Vielzahl von Widersprüchen konfrontiert. Fußball ist – entgegen aller offiziellen Verlautbarungen des DFB – immer noch fest in Männerhand. Aus einer soziologischen Perspektive meint dies, dass Fußball männerbündisch organisiert ist. Zuletzt zeigten Nina Degele und Caroline Janz in ihrer Studie Hetero, weiß und männlich? Fußball ist viel mehr, dass Frauen und schwule Männer noch immer als „das Andere“ des Fußballs fungieren und auch Rassismus und Nationalismus fester Bestandteil der Fußballkultur sind.

Ich möchte mich im Folgenden auf die die männerbündischen Strukturen konzentrieren, die auf je spezifische Weise die verschiedenen Ebenen des Fußballs wie z. B. Mannschaft, Fankultur oder Organisationen kennzeichnen. Männerbünde gründen auf dem programmatischen Ausschluss von Frauen. Die Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky (2006) definiert Männerbünde vor diesem Hintergrund als homosoziale, hierarchisch organisierte Wertegemeinschaften, die neben einer rationalen auch eine emotionale und affektive Basis haben. Insbesondere hebt sie hervor, dass Männerbünde neben eigenen Verkehrsformen, Wertmaßstäben und Denkfiguren wie Treue, Ehre, Gefolgschaft und Gehorsam oftmals auch eine „Aura des Geheimnisvollen“ pflegen. Dabei lässt sich das Magische und Zeremonielle besonders anschaulich anhand der Fußball-Kultur illustrieren, führt man sich die spezielle Fankleidung, unrasierte Spielergesichter oder manche rituellen Torjubel vor Augen. Zentral ist zudem, dass hier dem aggressiven Moment in Form von künstlich erzeugten Feindbildern wie dem gegnerischen Verein oder dem Schiedsrichter Rechnung getragen wird. So gelingt es, jenseits von internen Differenzen wie Alter, Herkunft, Einkommen oder Bildungshintergrund Gemeinsamkeit zu betonen und zu (er)leben. Der Soziologe Michael Meuser (2008) beschreibt Fußball daher als ein „ernstes Spiel männlicher Vergemeinschaftung“ und verweist hiermit nicht nur auf die dem Fußball innewohnende Strukturlogik von Wettbewerb und Solidarität, sondern auch auf seine zentrale Funktion als Sozialisationsinstanz. Denn wenn sich nach Bourdieu (1997) der männliche Habitus „nur in Verbindung mit dem den von Männern vorbehaltenen Raum“ herausbildet, „in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“, ist Fußball als homosozialer, authentischer Raum der ideale Ort, um männliche Identität einzuüben und abzusichern.

Für die Frage nach der Wirkungsweise von Männerbünden ist jedoch von besonderem Interesse, dass sich diese durch spezifische Dominanz- und Distinktionsstrukturen von Frauen und homosexuellen Männern abgrenzen. Diese Abgrenzung geschieht zuallererst durch eine rigide Desexuierung. Die damit einhergehende Dethematisierung von sexuellem Begehren verschiebt sexuelle Identität oder sexuelle Orientierung in den Bereich dessen, was nicht gesagt werden darf. Entscheidend ist zudem eine strenge Reglementierung dessen, was innerhalb des Männerbundes getan werden darf – oder besser: wo, in welchen architekturalen Einrichtungen, was getan werden darf. Es ist offenkundig: Inniges Umarmen und anerkennendes Tätscheln ist auf dem Platz erwünscht, unter der berühmten Dusche ist dies untubar. Der Soziologin Marion Müller (2009) zufolge gebietet und verbietet das „fußballerische Berührungssystem“ Intimität gleichermaßen; entscheidend ist dabei der Raum, in dem sich die Spieler befinden. Zudem bestehen Regeln, wie berührt werden darf: Findet Körperkontakt statt, so wird dieser nur in seltenen Fällen durch Blickkontakt begleitet. Hierdurch wird betont, dass die Berührung ausnahmslos aufgrund des Spiels stattfindet und keinesfalls in anderer Absicht geschieht.

All dies – also das, was (nicht) gesagt und getan werden darf – gründet auf dem Definitivum der Zwangsheterosexualität. Fußball unterliegt damit einem Tabu: Während Heterosexualität als unhinterfragt vorausgesetzt und deshalb auch wieder de-thematisiert werden kann, ist Homosexualität von vorneherein nicht thematisierbar. Sie unterliegt damit einem Meidungsgebot und wirkt als Tabu verhaltensregulierend und zugleich -ermöglichend. Demzufolge markiert das Tabu die Grenze der Gemeinschaft, indem es Homosexualität ent-thematisiert. Ent-Thematisierung meint den Ausschluss von Homosexualität aus dem Bereich des Sag- und Denkbaren und erlaubt damit den Jubel im fußballerischen Berührungssystem, erlaubt die homosoziale Vergemeinschaftung, den Wettbewerb, die Solidarität und die Kameradschaft; pointiert formuliert: Wäre Homosexualität dispositional, wäre der Männerbund einer seiner Grundlagen beraubt.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn sich die mediale Berichterstattung über Homosexualität und Fußball immer wieder als ein Tabubruch in Szene setzt. Die von mir vorgenommene Diskursanalyse untermauert diese These. Denn mit dem Verweis auf das große Tabu spekuliert die deutsche Medienlandschaft seit Mitte der 1990er Jahre in schöner Regelmäßigkeit darüber, warum sich aktive homosexuelle Fußballprofis nicht öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. „In Deutschland gibt es 36 Bundesligavereine mit jeweils einem Kader von rund 30 Leuten. Das sind ungefähr tausend Profis, jeder elfte wären rund 90 schwule Spieler. Eine stattliche Anzahl“, findet der Stern (23.11.2006) und schlägt prompt ein kollektives Outing vor. Mit dieser Idee steht er keinesfalls allein da. Denn seien es taz oder Welt, Spiegel oder Focus – sie alle verbinden ihr Rätselraten über das andauernde ‚Stay In‘ zumeist mit Ratschlägen für ein erfolgversprechendes ‚Coming Out‘. Es wundert deshalb kaum, dass in den Reaktionen auf das Zeit-Interview mit dem ehemaligen Nationalspieler Thomas Hitzlsperger im Januar 2014 auch leise Kritik mitschwingt. Zwar gibt es angesichts seines Coming Outs einen regelrechten „lovestorm“ (taz, 9.1.2014); dieser wird allerdings auch von Stimmen begleitet, welche das Bekenntnis lieber von einem aktiven Spieler gehört hätten. So findet es ein Stern-Kommentator „bedauerlich“, dass Hitzlsperger erst „nach Abpfiff“ Mut bewiesen habe und auch Michael Vesper als Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes findet ein Outing nach Karriereende wenig sensationell (taz, 10.1.2014).

Eine Besonderheit des Diskurses über Homosexualität und Fußball ist damit genannt: Es ist der „Wille zum Wissen“, welcher die öffentliche Berichterstattung seit fast 20 Jahren begleitet. Ob dieser Wille zum Wissen in emanzipatorischer Absicht geschieht, ist allerdings zweifelhaft. Denn mit Foucault (1983) gedacht dient dieser Aufruf zum Bekenntnis zuallererst dazu, die Ordnung der Sexualität zu regulieren. Das Erkenntnisinteresse – wer ist schwul? – wird demnach von einem kontrollierenden Gestus begleitet. Anders formuliert: Der Wille zum Wissen wird flankiert von dem Willen zur Ordnung oder besser: dem Willen zum Outing. Denn der Umstand, dass Homosexualität im Männerbund sagbar ist, bedeutet nicht, dass sich männerbündische Regeln lockern. Das Gegenteil ist der Fall: Die zu beobachtende „geschwätzige Aufmerksamkeit“, die nach Foucault „den Lärm um den Sex macht“, zeugt von einer „strengeren Ordnung und dem Bemühen um eine genauere Kontrolle“. Sie ist damit als eine „gerissenere Version der alten Härte“ zu verstehen, denn sie verbietet und bestraft nicht durch Gesetze, sondern reguliert den Sex durch den Zwang zum Geständnis. Homosexuelle Spieler „sollen gestehen, wer sie sind“ – und damit den Männerbund stabilisieren und zementieren. Denn erst, wenn das Geheimnis gelüftet ist, wenn die homosexuelle Wahrheit ans Licht kommt, kann die heterosexuelle Ordnung wieder hergestellt werden.

Dies geschieht vor allem durch die von Foucault beschriebene „Einkörperung der Perversion“: Der homosexuelle Spieler ist nach seinem Outing ganz seiner Sexualität verpflichtet; „nichts von alledem, was er ist, entrinnt seiner Sexualität“. Vergangene und gegenwärtige Torchancen, Schwalben und Flanken werden nun als das Andere gekennzeichnet. So ermöglicht das Bekenntnis die Identifizierung und Alterisierung des Anderen, was auch in der Berichterstattung über den „Fall Hitzlsperger“ deutlich wird: Der ehemalige Nationaltorwarts Jens Lehmann wird im Focus (14.02.2014) mit den Worten „Hätte mich beim Duschen komisch gefühlt“ zitiert und der ehemalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke lässt es sich nicht nehmen, auf die familienpolitische Brisanz des Coming Outs zu verweisen: „Ich hätte es gut gefunden, wenn Herr Hitzlsperger sein Bekenntnis zu seiner Homosexualität verbunden hätte mit einem Bekenntnis dazu, dass Ehe und Familie für unsere Gesellschaft konstitutiv sind“ (Tagesspiegel, 11.01.2014). Angesichts dieser Äußerungen erscheint der Stern-Artikel, in dem Hitzlspergers Coming Out „nach Abpfiff“ kritisiert wird, geradezu anmaßend: „Ist es nicht ziemlich feige, sich sechs Jahre lang, wie Hitzlsperger im Interview mit der ‚Zeit‘ berichtet, mit der Frage nach seinem Coming-Out zu beschäftigen, um dann doch den Schwanz einzuziehen und bis zum Ende der Karriere zu warten, um es endlich zu tun?“

Zu fragen bleibt an dieser Stelle, wer letztlich die Definitionsmacht über ein ernst zu nehmendes Coming Out hat – denn der Spieler hat sie augenscheinlich nicht. Der im öffentlichen Diskurs geäußerte Wille zum sexuellen Wissen erscheint vielmehr als ein Wille zur sexuellen Ordnung. Homosexuelle Spieler sind zu identifizieren, um den Männerbund zu stabilisieren; die (nachträgliche) Alterisierung gewährleistet den Zusammenhalt des Männerbundes. Ein Coming Out ist vor diesem Hintergrund nicht länger als ein emanzipatorischer Akt zu verstehen, der befreiend und bestärkend ist; Coming Out bedeutet hier vielmehr die Annahme des Stigmata „fremd“ mit all seinen Konsequenzen. Dem Soziologen Henning Bech (1998) zufolge kann dieser diskursiven Vorgabe der abwertenden Alterisierung durch drei Maxime entgegengewirkt werden: Sag nichts. Sag nicht das Gewöhnliche. Sag etwas anderes, wobei innerhalb des männerbündischen Dispositivs nur der erste Leitsatz „Sag nichts“ möglich wäre. Denn im Kontext der rigiden Desexuierung in Form einer Ent-Thematisierung von Homosexualität existiert nichts Ungewöhnliches oder Anderes der Kategorie „schwul“. Sie unterliegt einem Meidungsgebot.

All dies deutet darauf hin, dass das Queeren von Fußball keine leichte Aufgabe ist. Dies ist jedoch längst kein Grund, die Stecktabelle aus der Küche zu verbannen. Denn immerhin gibt es eine Vielzahl von Fan-Initiativen, die dem Männerbund ein Schnippchen schlagen. Feministische und queere Aktionen wie F_in („Frauen* in die Kurve – Alles andere ist Quark“) oder „Fußballfans gegen Homophobie“ zeigen, dass es neben den Widersprüchen auch Widerständiges gibt.

Literatur

  • Bech, Henning, 1998: Homosexuelle Politik am fin de siècle. Das Verschwinden der Homosexuellen und das „Queere“, S. 25-34 in: Ferdinand, U./Pretzel, A./Seek, A. (Hrsg.), Verqueere Wissenschaft? Zum Verhältnis von Sexualwissenschaft und Sexualreformbewegung in Geschichte und Wissenschaft, Münster: Lit.
  • Bourdieu, Pierre, 1997: Die männliche Herrschaft. S. 153-217 in: Dölling, I./Krais, B. (Hrsg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  • Foucault, Michel, 1983: Die Einpflanzung von Perversionen. S. 50-66 in: Foucault, M., Der Wille zum Wissen (Sexualität und Wahrheit I). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  • Kreisky, Eva/Spitaler, Georg (Hrsg.), 2006: Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht. Frankfurt/M.: Campus.
  • Meuser, Michael, 2008: It’s a Men’s World. Ernste Spiele männlicher Vergemeinschaftung. S. 113-134 in: Klein, G./Meuser, M. (Hrsg.), Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs, Bielefeld: transcript.
  • Müller, Marion, 2009: Fußball als Paradoxon der Moderne. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften.