„I am asking you to live in the presence of reality, an invigorating life.“
– Virginia Woolf

Die religiöse Symbolisierung von Geschlecht und Sexualität ist in vielen Religionen durch den Verweis auf Transzendenz besonders fest institutionalisiert. Sie ist Ausdruck eines androzentrischen Wissensvorrats und Weltverständnisses, das sozialen Wandel im Bereich religiöser Geschlechterverhältnisse erschwert. Frauen* und LGBT*Personen müssen immer wieder hart um Partizipationsmöglichkeiten in der Hierarchie religiöser Ordnung und um Anerkennung kämpfen. Und auch auf gesellschaftlicher Ebene wird Religion immer wieder zur Legitimation von Geschlechterdifferenz und zur Abwertung von Weiblichkeit relevant gemacht (wie sich aktuell z.B. an der Erklärung der römisch-katholischen Bildungskongregation zur „Frage der Gender Theorie im Bildungswesen“ sehen lässt). Die feministische Forschung begegnet Religion daher – nicht von ungefähr – mit Distanz. Dies gilt auch für feministisch orientierte Analysen von Religion(en); sie werden meist nicht zum Kernbestand feministischer Sozialanalysen gezählt. Feminismus und Religion sind demnach nicht kompatibel. Vielmehr scheint Feminismus, verstanden als Projekt und Programm einer an Gleichheit orientierten, aufgeklärten Moderne, nahezu zwangsläufig mit Säkularismus einherzugehen – dies gilt auch und gerade dann, wenn das Versprechen einer Gleichheit der Geschlechter in eben dieser Moderne uneingelöst und androzentrisch gebrochen ist. 

In der Folge geraten feministische, an Geschlechtergerechtigkeit orientierte Ansätze im religiösen Feld selbst oftmals aus dem Blick: Wie Frauen* und LGBT*Personen in verschiedenen religiösen Kontexten religiöse Verhältnisse, Wissensordnungen und Wissensformen zu Geschlecht und Sexualität auflösen, umformen und neu definieren, oder wie sie um Repräsentation und den Wandel religiösen Geschlechterwissens kämpfen, wie sie Religion(en) daraufhin verändern – ob auf der Ebene des Wissens, der Ebene religiöser Praxen oder der Organisation von Religion, wie sie Machtverhältnisse infrage stellen, Rechte und Anerkennung einfordern und sich diese erobern, dies findet in säkularen, sich selbst meist als neutral wahrnehmenden Feminismen eher wenig Widerhall oder Akzeptanz. Ein Dialog auf Augenhöhe zwischen säkularen und religiösen Frauen*, die in ihrer religiösen Lebenswelt um Geschlechtergerechtigkeit kämpfen, wird so unmöglich. Dass Religion als Handlungs- und Sinnressource für gelebte Emanzipation, Freiheits- und Gleichheitsvorstellungen erlebt und verstanden wird, dass die Zuwendung zu Religion gar aus einer feministischen Haltung heraus erfolgen kann, scheint aus der Perspektive säkularer Feminismen nur schwer verstehbar. 

Das Themenheft will sich diesem komplexen und bislang kaum breiter diskutierten Zusammenhang von Feminismus, Säkularismus und Religion widmen und sowohl die Affinitäten, Wahlverwandtschaften, aber auch die Spannungsverhältnisse zwischen religiösen und nicht-religiösen feministischen Weltdeutungen ausloten. Es will spezifische Problemstellungen herausarbeiten und so einen Beitrag zur Verständigung zwischen säkularen und religiösen feministischen Bewegungen leisten. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund einer sich in der jüngeren Vergangenheit wieder verstärkenden Problematisierung religiöser Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang der Diskurse um Migration und Asyl, auf globaler wie auch auf lokaler Ebene. Insbesondere ‚der Islam‘ bzw. ‚die islamische Geschlechterordnung‘ werden hierbei zum Kulminationspunkt von Rassifizierung und othering. Säkularer Feminismus muss sich hierzu – ebenso wie zu Antisemitismus – verhalten, d.h. sich selbst hinsichtlich des eigenen Beitrags zur Reproduktion kolonialer, weißer, antiislamischer oder antisemitischer Denkschemata und damit einhergehender symbolischer Grenzziehungen zwischen ‚uns‘ und ‚den anderen‘ überprüfen. Und umgekehrt kann religiöser Feminismus sich der Frage unterschiedlicher Perspektivierungen von Geschlechterungleichheit und Geschlechterdifferenz nicht entziehen. Auch die Betrachtung des Verhältnisses von Feminismus und Christentum soll davon nicht ausgespart bleiben. 

In diesem Sinne laden wir zu theoretischen und empirisch basierten Beiträgen ein,   

● die die Ablehnung religiös-feministischer Positionen und rassifizierende Grenzziehungen zwischen säkularen und religiösen Feminismen kritisch rekonstruieren;

●  die säkulare Feminismen konstruktiv zu religiösen Feminismen ins Verhältnis setzen und Gemeinsamkeiten in den Blick nehmen;

● die feministische Theologien und feministisch-religiöse Bewegungen differenziert hinsichtlich ihrer religionskritischen Positionen ausleuchten und 

● die das Verhältnis von Feminismus, Säkularismus und Religion historisch und gegenwartsdiagnostisch analysieren

● die feministische Theologien und feministisch-religiöse Bewegungen differenziert hinsichtlich ihrer religionskritischen Positionen ausleuchten und 

● die das Verhältnis von Feminismus, Säkularismus und Religion historisch und gegenwartsdiagnostisch analysieren.

Zur Einreichung von Beitragsvorschlägen für die Rubriken „Bilder und Zeichen“ und „Im Gespräch“laden wir ebenfalls herzlich ein. 

Einreichung und Zeitplanung

Wir bitten um Einreichung von Abstracts im Umfang von 300 bis maximal 500 Wörtern bis zum 15. Oktober 2019 an manuskripte@feministische-studien.desowie an die beiden Gastherausgeber*innen angelika.poferl@tu-dortmund.deund 

heidemarie.winkel@uni-bielefeld.de

Im Fall einer positiven Einschätzung durch die Herausgeber*innen erfolgt bis zum 15. November 2019 eine Einladung zur Beitragseinreichung. Der Abgabetermin des fertigen Beitrags im Umfang von max. 40.000 Zeichen ist der 15. August 2020. Alle eingereichten Beiträge durchlaufen ein anonymes Begutachtungsverfahren, auf dessen Basis Redaktion und Gastherausgeber*innen die Auswahl der Beiträge treffen.  

Für weitere Informationen oder Nachfragen wenden Sie sich bitte an die Heraus-geber*innen des Heftes: 

Prof. Dr. Angelika Poferl (angelika.poferl@tu-dortmund.de
Prof*in Dr*in Heidemarie Winkel (heidemarie.winkel@uni-bielefeld.de)
Dr*in Aline Oloff (aline.oloff@tu-berlin.de).